92 Allgemeine Lehren. 8 16
Verordnungen kann nur sein, was die Gesetzgebung nicht für sich in
Anspruch genommen hat. Innerhalb dieser Grenze ist jedoch das
königliche Verordnungsrecht unbeschränkt.
Welche Gegenstände im Wege der Gesetzgebung und welche im
Wege der Verordnung zu regeln sind, ist im zweiten Abschnitte der
zweiten Abteilung dieses dritten Buches zu erörtern.
Nicht zu dem vom Staate gesetzten Rechte gehören dagegen die
Polizeiverordnungen. Diese geben zwar allgemein verbindliche Vor-
schriften für alle Einwohner eines bestimmten Bezirkes. Sie ergehen
jedoch nicht etwa auf Grund einer Uebertragung der gesetzgebenden
Gewalt an die Polizeibehörden, sondern auf Grund der ihnen als
Vollzugsgewalt innerhalb der gesetzlichen Schranken zustehenden Be-
fugnisse. Die weitere Behandlung des Polizeiverordnungsrechtes ge
hört jedoch in den Abschnitt über die Polizei.
8 16. Insbesondere die Verfassungsgesetze¹).
Unter den Gesetzen ist besonders hervorzuheben die Verfassungs-
urkunde nebst den sie abändernden Gesetzen, da die Aenderung der
Verfassungsurkunde besonders erschwert ist, und die Gesetzgebung in
der Regel sich innerhalb der durch die Versassungsurkunde gezogenen
Schranken bewegen soll, um dem Grundgesetze des Slaates eine ge-
wisse Beständigkeit zu geben.
Das Grundgesetz des Staatles kann allerdings nie einen anderen
rechtlichen Charakter haben als ein gewöhnliches Gesetz. Insbesondere
ist es falsch, daß die Verfassung im Unterschiede von anderen Gesetzen
auf einem Vertrage zwischen Fürst und Volk beruhen könne oder gar
beruhen müsse2). Die vertragsmäßige Feststellung der gegenseitigen
Rechte und Pflichten, welche der privatrechtlichen Staatsauffassung des
1) v. Röune-Zorn, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 135; H. Schulze,
Pr. St.-R., Bd. 1, S. 7; v. Rauchhaupt, Versassungsänderungen
nach deutschem Landesstaatsrecht, iusbesondere in Preußen (aus Brie und
Fleischmann Abhandlungen, Heft 16) Breslau 1908.
2) So v. Mohl, Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 2. Aufl.,
Tübingen 1840, Bd. 1, S. 66 ss, und v. Rönne a. a. O., anders
Zorn. Bei dem Gedanken von der vertragsmäßigen Feststellung der
Verfassung wirken altständische Vorstellungen nach, wie solche namentlich
im Eingange der württembergischen Versassung Ausdruck gefunden haben.