§ 17 Das Gewohnheitsrecht. 99
Die zur Zeit des Erlasses des A. L.-R. bestehenden partikularen
Gewohnheiten contra wie praeter legem werden also anerkannt und
nur deren Aufnahme in die Provinzialgesetzbücher angeordnet. Neue
Gewohnheitsrechte können sich nur bilden, wenn die Gesetze etwas
unentschieden lassen oder ausdrücklich auf das Gewohnheitsrecht ver-
weisen. Die Bildung allgemeiner oder partikularer Gewohnheitsrechte
gegen das geschriebene Recht ist also nach Erlaß des A. L.-R. ge-
setzlich ausgeschlossens). Des genaueren wird dies noch deklariert durch
das Publikationspatent vom 5. Februar 1794 Nr. VII. Die Erforder-
nisse des Gewohnheitsrechtes sind dieselben wie sie die gemeinrecht-
liche Wissenschaft festgestellt hat. Denn Nr. VII des Publikations-
patentes verweist ausdrücklich auf die allgemeinen rechtlichen Grund-
säte, nach denen erwogen werden soll, ob einem Herkommen die
Eigenschaft einer rechtsgültigen Observanz wirklich zukomme. Es muß
also nach den bekannten Grundsätzen ein Herkommen längere
Zeit beobachtet worden sein in dem Glauben der sich nach ihm
richtenden Personen, daß sie zu der Beobachtung kraft Rechtszwanges
verpflichtet wären ).
Zur Zeit des Erlasses des A. L.-R. bildete nun Preußen keinen
Einheitsstaat, sondern einen Gesamtstaat, soweit das Verhältnis zum
Reiche und zu den Ständen der einzelnen Provinzen in Betracht kam)).
Es waren daher partikulare Gewohnheiten sowohl auf dem Gebiete
des Verfassungsrechtes wie des Verwaltungsrechtes möglich. Seit der
Auflösung der alten Reichsverbindung und der Beseitigung der alten
Stände durch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung ist aber Preußen
du einem Einheitsstaate geworden. Da ein solcher nur einheitliches
Verfassungsrecht haben kann, sind die zur Zeit des Erlasses des
2.-N. etwa noch bestehenden partikularen gewohnheitsrechtlichen
Normen des Verfassungsrechtes, die sich meist auf ständische Verhält-
nisse bezogen haben werden, gegenstandslos geworden. Es wurden
aber nur partikulare, damals schon bestehende Observanzen, welche
mit dem geschriebenen Rechte im Widerspruche standen, zugelassen.
Demnach wäre gesetzlich ein auf die Staatsverfassung bezügliches
Gewohnheitsrecht im Widerspruche mit dem geschriebenen Rechte jetzt
5) Vgl. Entsch. d. O. V. G. vom 27. Dezember 1876 und vom
29. Januar 1879, Entsch. Vb. 1, S. 211, Bd. 5, S. 150.
4) Val. Pu chta, Gewohnheitsrecht, 2 Bände, Erlangen 1828—1837.
5) Vgl. 8 4. .
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