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überhaupt unmöglich. In dem Verfassungsrechte könnte es daher nur
noch ein Gewohnheitsrecht geben, soweit das geschriebene Recht etwas
unentschieden läßt oder sich auf das Gewohnheitsrecht beruft. Dieses
Gewohnheitsrecht muß ferner stets ein allgemeines und kann nie ein
partikulares sein, da partikulares Recht überhaupt, also auch partiku—
lares Gewohnheitsrecht, soweit es sich um das Verfassungsrecht han—
delt, dem Begriffe des Einheitsstaates widerspricht.
In dem Verwaltungsrechte des Einheitsstaates sind dagegen par—
tikulare Rechtsnormen an sich denkbar und tatsächlich vielfach in Kraft.
Hier gelten also die Bestimmungen des A. L.-R. noch unmittelbar.
Ein parlikulares Gewohnheitsrecht im Widerspruche mit dem geschrie-
benen Rechte ist anzuerkennen, soweit es bereits zur Zeit des Erlasses
des A. L.-R. bestanden hat. Nur muß es, soweit Provinzialgesetz-
bücher bestehen, also in den Provinzen Ost= und Westpreußen, diesen
einverleibt sein.
Die landrechtlichen Bestimmungen sind zwar durch das Bürger-
liche Gesetzbuch für das Privatrecht beseitigt, indem es die Frage nach
dem Gewohnheitsrechte der Wissenschaft überläßt. Dagegen siehen sie
für das preußische Staats= und Verwaltungsrecht fortdauernd in
Geltung, soweit der Gesetzgeber nicht etwa seine Macht überschätzt und
unverbindlichen Gesetzesinhalt geschaffen hat, indem er Gewohnheits-
recht verbot.
Das A. L.-R. gilt nun aber, wenn auch in dem größten Teile
der preußischen Monarchie, so doch eben nur in einem Teile,
und es fragt sich, da die allgemeinen staatsrechtlichen Rechts-
quellen, insbesondere die Verfassungsurkunde, über das Gewohnheits-
recht nichts enthalten, inwieweit die Bestimmungen des A. L.-R. für
die rheinisch-rechtlichen und gemeinrechtlichen Gebietsteile der Monarchie
Anspruch auf Geltung machen können. Auch hier ist wieder zu unter-
scheiden zwischen dem Verfassungs= und dem Verwaltungsrechte. Das
A. L.-R. hat das damalige Verfassungsrecht gesetzlich normiert und,
da sich die Bestimmungen über das Gewohnheitsrecht auch auf das
Verfassungsrecht beziehen, sind diese ein Teil des Verfassungsrechtes,
wie sie auch ein Teil des Privatrechtes sind. Das Verfassungsrecht
ist aber ein einheitliches für den ganzen Staat, und mit der Einver-
leibung der Rheinprovinz und der gemeinrechtlichen Gebietsteile in
die preußische Monarchie ist das Verfassungsrecht des preußischen
Staales, wie es zur Zeit der Einverleibung bestand, unmittelbar auf