Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 18 Sonstige ungeschriebene Rechtsquellen. 105 
beschränkt, so hatte es überhaupt den Charakter des gemeinen Rechts 
eingebüßt und war zu einem Partikularrechte geworden. Das gemeine 
deutsche Staatsrecht hat damit als solches aufgehört zu bestehen. 
Gleichwohl ist es immer noch von Bedeutung für die geschichtliche 
Entwicklung der einzelnen Rechtsinstitute und kann daher, obwohl es 
den Charakter einer selbständigen Rechtsquelle verloren hat, immer 
noch für die wissenschaftliche Interpretation von Bedeutung sein. 
Dagegen gibt es ein gemeines Recht immer noch insofern, als 
das Staatsrecht aller deutschen Staaten das Erzeugnis derselben 
Nationalität, der deutschen, ist, und deshalb gewisse übereinstimmende 
Grundzüge zeigt. Mit Bezug auf dieses gemeine Recht ist das der 
einzelnen Staaten ein partikulares. Das gemeine Recht, welches man 
aus dem gegenwärtigen Staatsrechte der Einzelstaaten entnehmen kann, 
hat aber noch weniger als das frühere formell gemeine Staatsrecht 
Anspruch auf subsidiäre Geltung in Preußen. Es bildet ebenfalls 
nur ein Mittel für die Erkenntnis und die Interpretation des preußi- 
schen Staatsrechtes wie der anderen deutschen Partikularrechte. 
Formell und materiell gemeines deutsches Staatsrecht ist endlich 
heschaffen worden durch die Reichsgesetzgebung. Das Reichsrecht bildet 
jedoch nur eine Quelle für das Reichsstaatsrecht, nicht aber für das 
Landesstaatsrecht, da das unterscheidende Merkmal für Reichs= und 
Landesstaatsrecht eben in der Verschiedenheit der Rechtsquellen besteht. 
Reichsrechtliche Normen müssen allerdings vielfach auch im preußischen 
Staatsrechte behandelt werden, indem beide so ineinander bergreifen, 
daß eins ohne das andere unverständlich erscheint. Es ist jedoch 
daran sestzuhalten, daß, so oft auf dem Reichsrechte beruhende Rechts- 
institute zur Erörterung gelangen, nicht preußisches Staatsrecht, sondern 
Reichsstaatsrecht vorgetragen wird. 
III. Das philosophische Staatsrecht oder das allgemeine Staats- 
recht soll der Inbegriff derjenigen Rechtssätze sein, welche sich nicht 
aus willkürlicher positiven Satzung, sondern unmittelbar aus höchsten 
Vernunstprinzipien ergeben, und die deshalb in Ermangelung einer 
positiven Bestimmung Anspruch auf unmittelbare Geltung zu machen 
haben. Ein solches philosophisches Staatsrecht besteht aber nicht und 
hat nie bestanden, da es im Widerspruche steht mit der mensch- 
lichen Natur. Der Mensch kann sich niemals befreien von den 
Schranken des Orts und der Zeit. Er vermag daher auch nicht allein 
aus höchsten Vernunftprinzipien ohne Zugrundelegung einer einzelnen
	        
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