Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

172 Das Verfassungsrecht. g 28 
Punkt, wo die Wissenschaft aufhört, und der Glaube anfängt. Beruht 
die Thronfolge auf göttlichem Rechte, so entzieht sich dieses selbst— 
verständlich der Aenderung durch menschliche Willkür. Dieses gött— 
liche Recht hat unter den englischen Stuarts, den restaurierlen Bour— 
bonen in Frankreich und bei den spanischen Karlisten eine Rolle ge— 
spielt, in Deutschland haben es höchstens die Welfen vertreten, die 
in England selbst den Thron durch einen Bruch des göttlichen Rechts 
erworben hatten. Ist das Recht eine menschliche Ordnung, so unter- 
liegt es auch der geschichtlichen Entwicklung. Ein auf göttlichem Rechte 
bernhendes Legitimitätsprinzip gibt es nicht. 
In Deutschland wichtiger war die Einwendung vom Stand- 
punkte des Patrimonialstaates. Land und Leute galten Jahrhunderte 
hindurch als ererbtes Familiengut, der Landesherr nur als Vertreter 
seiner Familie, die Agnaten waren als reichsunmittelbar seiner ge- 
setzgebenden Gewalt gar nicht untergeordnet. Selbstverständlich konnte 
unter diesen Umständen der Landesherr weder allein noch mit Zu- 
stimmung der Landstände die Erbfolge in Land und Leute regeln. 
Solche überkommenen Rechtsanschanungen wirken lange nach, auch 
nach Fortfall des Grundes. Mögen die deutschen Staaten Schöpfungen 
ihrer Dynastien sein, so kann man doch nicht von einer überstaat- 
lichen Stellung der Dynastien sprechenb). Heute sind die Agnaten 
Untertanen, der Staatsgesetzgebung unterworfen, aber in keiner Hin- 
sicht Mitträger der Gesetzgebung. Gegenüber dem Staate als einer 
Quelle des Rechtes gibt es kein wohlerworbenes Recht aus einem 
vorstaatlichen oder überstaatlichem Rechte. 
Endlich soll die Thronfolge ein Organisationsprinzip des Staates 
sein, die Voraussetzung des monarchischen Rechtes, so daß der Monarch 
nicht über sich selbst hinaus könnes). Allein auch Organisationen 
unterliegen dem Wandel der Dinge. Jeder Verein beruht auf seiner 
Satzung, kann diese aber ändern. Warum sollte die höchste Organi- 
* Vgl. Arndt, Können Rechte der Agnaten auf die Thronfolge 
nur durch Staatsgesetz geändert werden? Verlin 1900; Rehm, Mo- 
dernes Fürstenrecht, München 1904; Rehm, Die ülbberstaatliche Rechts- 
stellung der deutschen Dynastien, Gießen 1907. Gegen Arndt: 
Schücling, Der Staat und die Agnaten, Jena 1902; vgl. auch 
Friese, Thronfolge und Agnatenrecht, Berlin 1906. 
6) Kohler, Rechtliche Erörterungen zur lippeschen Thronfolge- 
frage im Archiv für öffentliches Recht Vd. 18, S. 134 ff.
	        
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