Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 29 Das Thronfolgerecht. 181 
fassungsurkunde bei Regelung des Thronfolgerechtes nur auf die Haus- 
gesetze, nicht auf die Goldene Bulle Bezug. Da die Hausgesetze eine 
Ausschließung wegen Regierungsunfähigkeit nicht kennen, so kommt 
diese für das Thronfolgerecht überhaupt nicht mehr in Betracht. Dies 
erkennt auch die Verfassungsurkunde mittelbar dadurch an, daß sie bei 
dauernder Regierungsunfähigkeit des Königs ohne „Rücksicht darauf-, 
ob diese beim Thronaufall schon vorhanden war oder später einge- 
treten ist, besondere Vorsorge durch Anordnung einer Regentschaft trifft. 
Es erscheint dieser Grundsatz auch zweckmäßiger als der der 
Ausschließung wegen Regierungsunfähigkeit, da sich vielfach beim 
Anfalle der Krone gar nicht feststellen läßt, ob die Unfähigkeit eine 
dauernde sein wird, und ein Aufhören der Unfähigkeit, nachdem die 
Ausschließung stattgefunden hat, zu den schwierigsten staatsrechtlichen 
und politischen Verwicklungen führen muß. Die meisten neueren 
deutschen Verfassungsurkunden sehen deshalb auch von der Aus- 
schließung wegen Regierungsunfähigkeit ab. Wo wie in Preußen der 
Regent alle Rechte des Königs auszuüben hat, ergeben sich hieraus 
auch keinerlei staatsrechtliche Schwierigkeiten#). 
Die Goldene Bulle Kap. 7 88 2 und 3 erforderte außerdem 
insbesondere zur Regierungsfähigkeit in den Kurlanden weltlichen 
Stand. Dieses Erfordernis, den preußischen Hausgesetzen unbekannt 
und schon deshalb hinfällig, ist auch sonst gegenwärtig bedeutungslos 
geworden. Die evangelische Kirche, zu der das preußische Königshaus 
gehört, kennt keinen besonderen geistlichen Stand, sondern nur ein 
Predigtamt, ein Standesunterschied im Sinne des kanonischen Rechtes 
zwischen Geistlichen und Weltlichen besteht nicht. Die Zugehörigkeit 
zur Geistlichkeit der evangelischen Kirche würde daher auch nicht ein- 
mal im Sinne der Goldenen Bulle als Regierungsunfähigkeit gelten 
können. 
13) Anders in Bayern, wo nach dem bisherigen Staatsrechte der 
diegent keine neuen Aemter einführen, die bestehenden nur provisorisch 
besetzen, keine heimgefallenen Lehen verleihen, keine Krongüter veräußern 
durfte. Vgl. Seydel, Bayerisches Staatsrecht, München 1884 ff., Bd. 1, 
S. 477 ff. Abgesehen davon, daß diese Beschränkungen mit dem heutigen 
staatsrechtlichen Charakter der Regentschaft nicht mehr vereinbar sind — 
vglI. § 35 —, hat sich aber auch in Bayern herausgestellt, daß die 
Unzulässigkeit der Ausschließung des Herrschers wegen Regierungsunfähig- 
keit und die Ausschließung des Regenten von gewissen Regierungshand- 
lungen zwei miteinander unvereinbare Grundsätze sind.
	        
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