8 79 Der Geschäftsgang bei Erlaß der Gesetze. 531
Erforderlich ist zum Erlasse eines Gesetzes die Zustimmung beider
Häuser. Darunter können aber nur verstanden werden die beiden zur
Zeit des Erlasses bestehenden Häuser. Das Abgeordnetenhaus besitzt
nun nicht wie das Herrenhaus eine fortgesetzte Kontinuität seines
Bestandes. Vielmehr hört nach Ablauf der Legislaturperiode das
Abgeordnetenhaus auf, und es tritt ein neues an seine Stelle. Wollte
nun der König nach Ablauf der Legislaturperiode einem früher von
beiden Häusern angenommenen Gesetze seine Sanktion erteilen, so
wäre dem Erfordernisse des Art. 62 der Verfassungsurkunde nicht
Genüge geleistet. Es läge keine Zustimmung beider Häuser des Land-
tages vor. Denn dasjenige Abgeordnetenhaus, welches seine Zustim-
mung erteilt hätte, bestände gar nicht mehr. Deshalb ist anzunehmen,
daß nach Ablauf der Legislaturperiode die Sanktion eines in ihr
angenommenen Gesetzentwurfes unzulässig ist.
Statt dieses gewöhnlichen Ganges der Gesetzgebung kann der
Landtag durch Gesetz die Regelung des betreffenden Gegenstandes der
freien königlichen Verordnung überlassen. Dann tritt einfach an die
Stelle der Regelung durch Gesetz die durch eine vorbehaltene Aus-
führungsverordnungt6). Die Zulässigkeit einer solchen Regelung ist
bestritten worden, da Art. 62 der Verfassungsurkunde stets gemein-
schaftliche Ausübung der gesetzgebenden Gewalt erforderen). Diese
gemeinschaftliche Ausübung findet jedoch tatsächlich statt, indem das
Gesetz es ist, welches die weitere Regelung der königlichen Verordnung
überließ. Alle Einzelheiten der der Gesetzgebung unterliegenden Gegen-
stände zu regeln, hat die Gesetzgebung wohl das Recht, aber nicht die
Pflicht. Sie kann die weitere Ausführung einer Verordnung über-
lassen, und wie weit sie dies tun will, ist lediglich ihre Sachets).
16) Vgl. § 73. Die wichtigsten praktischen Beispiele sind das Gesetz
vom 7. Mai 1853, welches die Bildung der ersten Kammer, und das
Gesetz vom 10. Juni 1854, welches die Wiederherstellung der standes-
herrlichen Rechte einer königlichen Verordnung überließ.
17) So v. Gerber § 46; v. Rönnec, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 356;
Arndt, Verordnungsrecht, S. 22 wenigstens für die Fälle, wo die
Verfassungsurkunde ausdrücklich ein Gesetz erfordert. Anders und richtig
Entsch. des Reichsgerichts in Zivilsachen vom 5. Oktober 1891, Bd. 28,
S. 308 und anderweit, vgl. v. Kamptz und Delius, Rechtsprechung,
Bd. 2, S. 491 ff.
18) Mit Recht sagt Jellinek, S. 333, die Rönnesche Ansicht
entbehre jeder juristischen Basis.
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