Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

g 82 Der Regierungsantritt. 198 
die Leistung des Eides „vor Ergreifung der königlichen Gewalt“ 
erforderte. Dagegen hat weder die oktroyierte noch die revidierte 
preußische Verfassungsurkunde diese Vorschrift übernommengz). 
Auch auf andere Weise kann die Eidesleistung nicht mittelbar er- 
zwungen werden. Die Ministerverantwortlichkeit, wenn eine solche im 
Sinne der konstitutionellen Theorie in Preußen bestände, würde in 
diesem Falle wirkungslos sein, da die Minister nach ausdrücklicher 
Bestimmung der Verfassungsurkunde nur für Handlungen des 
Monarchen, die sie gegengezeichnet haben, nicht aber für Unter- 
lassungen, die sie vielleicht selbst vermieden zu sehen wünschten, ver- 
antwortlich gemacht werden könneno). Die politische Verantwortlich- 
keit der Minister, die allenfalls in Betracht kommen könnte, ist jeden- 
falls kein rechtliches Zwangsmittel. 
Die Eidesleistung des Königs ist also ohne die geringste staats- 
rechtliche Bedeutung. Die Nichtleistung zieht ebensowenig Rechtsfolgen 
nach sich, da die Leistung in keiner Weise erzwungen werden kann. 
Vorschriften, die nicht erzvingbare Handlungen anordnen, an die sich 
auch sonst keinerlei Rechtswirkungen anknüpfen, sind aber als solche 
instruktioneller Natur aufzufassen. Demnach ist auch die Bestimmung 
— 
5) Die Ansicht v. Rönnes, Pr. St.-R., Bd. 2, S. 343, daß die 
vor der Eidesleistung ausgeübten Regierungsakte der staatsrechtlichen 
Gültigkeit entbehrten, da der König nur dann zu regieren berechtigt 
sei, wenn er seinerseits die ihm durch die Verfassung auferlegten 
Pflichten erfülle, ist völlig haltlos. Ein solches gegenseitiges Bedingt- 
sein von Regierung und Eidesleistung kann ohne jede gesetzliche Grund- 
lage nicht angenommen werden. Es ist auch praktisch undurchführbar, 
da der König dann nicht einmal den etwa nicht versammelten Landtag 
berufen könnte, um vor ihm den Eid zu leisten, ein Selbstversamm- 
lungsrecht der Volksvertretung aber wie in Belgien nach der preußischen 
Verfassungsurkunde für diesen Fall nicht besteht. Die Richtigkeit der im 
Texte ausgesprochenen Grundsätze ist bei der Thronbesteigung König 
Friedrichs III., der aus Gesundheitsrücksichten den Eid nicht leisten 
konnte, von keiner Seite bezweifelt worden. Richtig dagegen v. Rönne- 
Zorn, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 227. 
6) Wenn v. Rönne, Pr. St.-R., Vd. 2, S. 542 N. ö die Minister 
für die Nichtleistung des Eides verantwortlich machen will, wenn sie 
Regierungsakte trotz der Unterlassung gegenzeichnen, so übersieht er, 
daß die Verfassungsmäßigkeit des einzelnen Aktes unabhängig ist von 
der Leistung des Eides, zur Gegenzeichnung gesetmäßiger Regierungs— 
handlungen aber eine Verpflichtung der Minister besteht. 
Bornbak, Hreupßischee Staaterecht. I. 2. Kukl. 13
	        
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