8 88 Der Verlust der Herrschaft. 199
Staaten und ihre Landesherren, wie der Aechtungsprozeß gegen
Friedrich dem Grosen zeigt.
Eine Absetzung war ferner möglich durch die Agnaten im
Patrimonialstaate, der Land und Lente als ererbtes Familiengut,
den Landesherren nur als Vertreter seiner Familie betrachtet. Diese
patrimoniale Auffassung hat bis tief in das 19. Jahrhundert theo-
retisch und praktisch fortgewirkt?). Derzeit bedarf sie als mit dem Wesen
des modernen Staates in Widerspruch stehend keiner Widerlegung mehr.
Eine Absetzung ist endlich möglich durch das sonveräue Volk
auf dem Boden der Volkssouveränetät. Diese besteht aber in Deutsch-
land nicht.
Auch das neue Reich ist zwar in gewissen Beziehungen den
Einzelstaaten übergeordnet. Träger der Reichsstaatsgewalt sind aber
die in ihren Landesherren verkörperten Einzelstaaten als Gesamt-
persönlichkeit des Reiches. Die deutschen Landesherren sind jedenfalls
nicht Untertanen der Reichsstaatsgewalt geworden.
Somit fehlt es an jeder höheren Gewalt, die einen deutschen
Landesherren absetzen könnte.
Daß ein Thron durch Revolution verloren gehen kann, ist aller-
dings eine unbestreitbare geschichtliche Tatsache. Aber der Rechts-
bruch entzieht sich staatsrechtlicher Erörterung.
Die Krone kann also nur durch den Tod oder die freie Willens-
entschließung des Herrschers von einer Person auf die andere über-
gehen. Wohl aber ist es möglich, daß unter Aufrechterhaltung des
Herrscherrechtes die Ausübung der Herrschaft wegen zeitiger oder
dauernder Verhinderung dem Könige entzogen wird. Die Verfassungs-
urkunde Art. 56 kennt zwei Fälle der Entziehung der Ausübung der
Herrschaft unter Aufrechterhaltung des Herrscherrechtes, die Minder:
jährigkeit des Königs und dessen sonstige dauernde Verhinderung,
*7 zu regieren. In dem ersteren Falle kann der König trotz des
5) Die Ansicht von Zöpfl § 279, das Recht der fürstlichen Agnaten,
unter gewissen Umständen bis zur förmlichen Entsetzung des regierenden
Herren vorzuschreiten, könne als fundamentalherkömmliches in Deutsch-
land bezeichnet werden, ist nur für den Patrimonialstaat richtig. Mit
dem heutigen Staatsbegrifse ist sie unvereinbar, wie sich aus den obigen
Ausführungen des Textes ergibt. Uebrigens steht Zöpfl mit seiner An—
sicht ziemlich allein da.