Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

9 30 Berufung zur Regentschaft. 213 
In Ermangelung eines regierungsfähigen Agnaten soll also in 
erster Linie schon vorher für den Fall, daß sich die Notwendigkeit 
der Regentschaft ergeben sollte, gesetzliche Fürsorge getroffen werden. 
Da die Verfassungsurkunde eine „gesetzliche“ Fürsorge vorsieht, so ist 
für die betreffende Anordnung nur die Form eines gewöhnlichen Ge- 
setzes, d. h. die Willensübereinstimmung des Königs und der beiden 
Häuser des Landtages erforderlich. Dem förmlichen Gesetze steht aber 
die Notverordnung im Sinne des Art. 63 der Verfassungsurkunde 
grundsätzlich gleich. Es würde der König in Ermangelung eines voll- 
jährigen und sonst regierungsfähigen Agnaten auch durch eine Not- 
verordnung über die Regentschaft Bestimmung treffen können, falls die 
übrigen Voraussetzungen einer solchen vorliegen. 
Ist weder ein regierungsfähiger Agnat vorhanden, noch ander- 
weit für die Regentschaft gesetzliche Fürsorge getroffen worden, so hat, 
wenn sich die Notwendigkeit einer Regentschaft ergibt, das Staats- 
ministerium vorläufig die Regierung zu führen. Das Staatsministerium 
übt also alle Herrscherrechte aus, es ist bis auf weiteres Regent. 
Sobald aber das Staatsministerium die Regentschaft übernommen 
hat, muß es die beiden Häuser des Landtages berufen, welche in ver- 
einigter Sitzung einen Regenten erwählen. Mit Antritt der Regent- 
schaft durch diesen hört die Regentschaft des Staatsministeriums auf. 
Das Staatsministerium übt zwar alle Rechte der königlichen Gewalt 
aus. Gleichwohl ist unter seiner bloß vorläufigen Regentschaft ein 
Gesetz über die Berufung zur Regentschaft selbst wenn nicht unmög- 
lich, so doch überflüssig. Denn da dem Landtage die Wahl des Re- 
genten zusteht, so entscheidet lediglich sein Wille über die Person 
des Regenten, während der Wille des Staatsministeriums rechtlich 
gleichgültig ist. Im Gesetze kommt jedoch der übereinstimmende Wille 
des Herrschers und der Volksvertretung zur Geltung. Wo, wie hier 
Über die Person des Regenten, der Wille der Volksvertretung allein 
entscheidet, da erübrigt sich ein Gesetz. 
Der Regent hat sofort die beiden Häuser des Landtages zu 
berufen, welche in vereinigter Sitzung über die Notwendigkeit der 
Regentschaft beschließen. Ist der nächste volljährige Agnat Regent, 
so ändert der Beschluß des Landtages nichts in der Person des Re- 
genten. Führt dagegen das Staatsministerium vorläufig die Regent- 
schaft, so fällt der Beschluß über die Notwendigkeit der Regentschaft 
zusammen mit der Wahl des Regenten und liegt in dieser ausge-
	        
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