Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

9§ 38 Die Regierungsstellvertretung. 227 
zum Herrscher ist genau dasselbe. Hieraus ergibt sich seine ganze 
Rechtsstellung. Bei der Regentschaft war Herrschaft und Ausübung 
der Herrschaft von einander geschieden, und die eine dem Könige, die 
andere dem Regenten übertragen. Da der König einzig und allein 
das Recht, der Regent einzig und allein die Ausübung des Rechtes 
besaß, so konnte der König während der Regentschaft keine einzige 
Regierungshandlung vornehmen, dem Regenten gebührte die Ausübung 
der königlichen Gewalt in ihrem vollen Umfange. Er war daher 
staatsrechtlich mit dem Könige eine und dieselbe Person und teilte die 
königliche Unverantwortlichkeit. Bei der Stellvertretung behält dagegen 
der König immer die Befugnis, einzelne Regierungshandlungen selbst 
vorzunehmen, insbesondere diejenige, die Stellvertretungsbefugnis des 
Regierungsstellvertreters selbst zu widerrufen. Hat aber der König nach 
wie vor diese Befugnis zur eigenen Ausübung von Regierungshand- 
lungen, so kann er seinem Vertreter gar nicht die Ausübung der 
ganzen königlichen Gewalt, wie sie der Regent besitzt, sondern nur 
die Ausübung einzelner Regierungshandlungen übertragen haben. 
Der Umfang der dem Vertreter übertragenen Regierungsgeschäfte kann 
tatsächlich von der Ausübung der ganzen königlichen Gewalt unendlich 
wenig verschieden sein. Immerhin besteht der wesentliche Unterschied, 
daß der König während der Stellvertretung Regierungshandlungen 
vornehmen kann. Dem Könige bleibt also während der Stellvertretung 
nicht nur das Recht der Herrschaft, sondern auch das Recht der Aus- 
übung der Herrschaft, wenn er auch die Vornahme einzelner Regie- 
rungshandlungen seinem Vertreter überläßt. 
Der Stellvertreter wird daher nicht eine staatsrechtliche Person 
mit dem Herrscher, er bleibt als bloßes Organ zur Ausübung der 
Herrschaft sein Untertan. Als solcher ist der Stellvertreter für die 
Ausübung der ihm übertragenen Regierungshandlungen verantwortlich. 
Die Frage nach dem Umfange der Verantwortlichkeit und der Person 
desjenigen, dem der Stellvertreter verantwortlich ist, beantwortet sich 
nach den allgemeinen Grundsätzen über die Verantwortlichkeit aller 
Untertanen. Ist die Verantwortlichkeit eine politische oder nur eine 
rechtliche? Dies ergibt sich aus der Stellung des Stellvertreters zum 
Herrscher. Da er nur das Organ des Herrschers ist, hat er nicht nur 
dessen Anweisungen im einzelnen Folge zu leisten, sondern auch, soweit 
er solche nicht erhält, „nach den ihm wohlbekannten Intentionen“ 
des Königs zu regieren. Soweit er dieser rechtlich nicht erzwingbaren 
15“
	        
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