240 Das Verfassungsrecht. 8 40
alle Landesteile der Monarchie in ihrem gegenwärtigen Umfange,
d. h. dem Umfange zur Zeit des Erlasses der Verfassungsurkunde,
das preußische Staatsgebiet bilden. Die Folge dieser Verfassungs-
bestimmung würde an und für sich die gewesen sein, daß eine Ver-
änderung der Grenzen des Staatsgebietes in ihrem damaligen Umfange
nur im Wege der formellen Verfassungsänderung hätte erfolgen
können. Diese Folgerung ist jedoch abgeschnitten durch den Art. 2,
welcher bestimmt, daß die Grenzen des Staalsgebieles nur durch ein
Gesetz verändert werden können. Es liegt also hier eine Ausnahme
von der sonst allgemein vorgeschriebenen Form der Verfassungsänderung
vor, eine Abänderung des Art. 1, d. h. der Grenzen des Staats-
gebietes, bedarf nur der Form des gewöhnlichen Gesetzes?).
Zweifelhaft war nur, ob die Abtretung von Staatsgebiet in einem
Friedensschlusse eines besonderen Gesetzes bedurfte, da der König nach
Art. 48 der Verfassungsurkunde das Recht hatte, Frieden zu schließen
und andere Verträge mit fremden Mächten zu errichten, und nur
Hinsichtlich der letzteren unter gewissen Voraussetzungen die Zustimmung
des Landtages erfordert wird. Das dem Könige allgemein zugesprochene
Recht, Frieden zu schließen, begriff jedoch die Befugnis nicht in sich,
in ihm Verfügungen zu treffen, zu denen nach ausdrücklicher Be-
stimmung der Verfassungsurkunde ein besonderes Gesetz erfordert wurde.
Sofern der König in einem Friedensvertrage eine Abtretung zugestand,
würde er zwar, da er allein den Staat völkerrechtlich verpflichtet, dem
anderen Vertragschließenden gegenüber verbunden sein, die Abtretung
vorzunehmen, sofern in dem Vertrage die Genehmigung der Volks-
vertrelung nicht vorbehalten wäre. Dagegen würde sich das Ministe-
rium, welches den Vertrag gegenzeichnet, wegen Versassungsverletzung
verantwortlich gemacht haben. Demselben Grundsatze nach kann auch
umgelehrt der König durch einen bloßen Friedensvertrag das Staats-
gebiet nicht erweitern. Durch den völkerrechtlichen Erwerbsalt erlangt
7) Genehmigung des Vertrages durch den Landtag und Verkündi-
gung in der Gesetzsammlung würde an sich mit einem Gesetze gleich-
bedeutend sein, und man hat dies auch bei kleineren Grenzberichti-
gungen für ausreichend erachtet. Doch entspricht dies Vorgehen sormell
nicht dem, was die Verf.-Urk. ersordert. Vgl. v. Rönne-Zorn,
Pr. St.-R., Bd. 1, S. 197, N. 2. Die Präzedenzsälle im Berichte der
Just. Komm. des Herrenhauses vom 23. Februar 1877 (Sten. Ber.
1877, Anl. Bd. Nr. 80, S. 120 ff.).