Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

258 Das Verfassungsrecht. 8 42 
Da ferner die Revolution nur an die Rechte des Individuums 
dachte, so konnten ihr die Pflichten, insbesondere die Unterwerfung 
des einzelnen unter die Staatsgewalt, nicht als das wesentliche der 
Staatsangehörigkeit erscheinen, um so weniger, da nach der Rousseau— 
schen Lehre der Volkssouveränetät der allgemeine Wille kein außer— 
halb des Individuums stehender, selbständiger war, sondern sich deckte 
mit der Summe der Einzelwillen. Es kam hinzu, daß der Gutsherr 
seine Hintersassen als seine Untertanen bezeichnete, obgleich in Frank- 
reich alle obrigkeitlichen Rechte des Gutsherren, welche diese Benennung 
allein gerechtfertigt hätten, längst verschwunden und nur privatrecht- 
liche Befugnisse auf Leistung von Abgaben und Diensten übriggeblieben 
waren. Das Wort „Untertan“ wurde daher überhaupt verpönt und 
die Phrase: „II n'y a plus de sujets“ zu einem Schlagworte der Re- 
volution. Verwarf man aber jenes Wort, so konnte man kein anderes 
an die Stelle setzen als dasjenige, welches die Personen bezeichnete, 
aus denen sich nach der neuen Lehre die Nation zusammensetzte, 
das Wort „Citoyen"“. 
Mit den Lehren vom Vertragsstaate und der Volkssouveränetät 
fand das Wort auch in den maßgebenden Kreisen Preußen Eingang 
und zwar aus denselben Gründen wie in Frankreich. Um jedoch den 
städtischen Einwohner von dem Staatsangehörigen überhaupt zu unter- 
scheiden, bildete die Kant-Fichtesche Philosophie das widersinnig-mon- 
ströse Wort „Staatsbürger“. In diesem Sinne spricht schon das 
A. L.-R.ôö), in dem sich überhaupt manche Anklänge an den Vertrags- 
staat der Aufklärungsphilosophie finden, von Bürgern des Staates, 
während es sonst gleichbedeutend damit die Ausdrücke „Untertanen“ 
und „Einwohner des Staates“ gebraucht. Die preußische Verfassungs- 
urkunde hat zwar ebenfalls vereinzelt den Ausdruck „staatsbürger- 
liche Rechte“é). Dagegen vermeidet sie sorgsam das Wort „Unter- 
lan“ und bedient sich meist des neutralen Ausdruckes „Preußen“. In 
derselben Weise hat die neuere Gesetzgebung die Bezeichnung „Bundes- 
und Staatsangehörigkeit"“ angewandt, während offiziell, namentlich 
im diplomatischen Verkehre, nie von preußischen Staatsbürgern, sondern 
immer nur von prenßischen Untertanen die Rede ist). Erst der 
neueren Reichspublizistik blieb es vorbehalten, auch das Wort „Reichs- 
bürger“ salonfähig zu machen. 
0) Vgl. A. L.-R. II, 13 § 1, 19 § 1, 20 8 151. 
60) V.-U. Art. 2.
	        
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