Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 48 Reichs= und Staatsangehörigkeit. 259 
§ 43. Reichs= und Staatsangehörigkeit. 
Da das Reich nicht nur eine Vereinigung von Staaten, sondern 
selbst ein staatliches Wesen ist, mußte es auch die Reichsangehörigkeit 
selbständig bestimmen. Dem Charakter des Reiches als eines zusammen- 
gesetzten Staates hätte es nun vielleicht entsprochen, die Reichsange- 
hörigkeit einfach zu bestimmen als die Staatsangehörigkeit zu einem 
der das Deutsche Reich ausmachenden Einzelstaaten, letzteren aber 
die Bestimmung darüber zu überlassen, welche Personen als Staats- 
angehörige zu betrachten seien. Es hätte jedoch zu den größten 
praktischen Schwierigkeiten geführt, wenn die Reichsangehörigkeit durch 
die Verschiedenheit der Rechtsnormen über Erwerb und Verlust der 
Staatsangehörigkeit in den einzelnen Staaten abweichend geregelt ge- 
wesen wäre. 
Ein zweiter Weg, nämlich die Reichsangehörigkeit ohne Rücksicht 
auf die Staatsangehörigkeit zu bestimmen, hätte zunächst zu dem Er- 
gebnisse geführt, daß es Staatsangehörige geben konnte, die keinem 
Einzelstaate angehörten, während das Reich oder vielmehr der Nord- 
deutsche Bund damals noch kein unter ihm allein stehendes, mit keinem 
Einzelstaate verbundenes Gebiet besaß. Es hätte sich aber auch das 
weit bedenklichere Ergebnis herausstellen können, daß Angehörige eines 
Einzelstaates, der mit seinem ganzen Gebiete dem Reiche angehörte, 
nicht Reichsangehörige waren. Ueberdies hatte der Art. 3 Abs. 1 der 
Reichsverfassung ein gemeinsames Indigenat für ganz Deutschland in 
der Weise anerkannt, daß der Angehörige eines jeden Bundesstaates 
in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln und dem- 
nach zum festen Wohnsitze, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen 
Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des 
„Staatsbürgerrechtes“ und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen 
Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische zuge- 
7) Wie es sich hier nicht nur um einen Wortstreit, sondern um eine 
wichtige Prinzipienfrage handelt, ergibt der Satz bei v. Rönne-Zorn, 
Pr. St.-R., Bd. 1, S. 600, wonach das Staatsbürgerrecht der Inbegriff der- 
jenigen Rechte ist, „welche jedem Staatsgenossen schon wegen dieser recht- 
lichen Eigenschaft als Teilnehmer der Staatsgenossenschaft gebühren“. 
Was kann Genossenschaft anderes bedeuten als vertragsmäßige Ver- 
einigung mit ihren Folgerungen des Vertragsstaates und der Volks- 
souveränetät? 
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