260 Das Verfassungsrecht. 8 43
lassen, auch in betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschutzes
ihm gleich behandelt werden sollte. Es war daher wünschenswert,
daß auch über die Staatsangehörigkeit gemeinsame Normen erlassen
wurden.
Entgegen dem sonst allgemein durchgeführten Grundsatze, daß das
Verfassungsrecht der Einzelstaaten lediglich deren eigener Regelung
liberlassen ist, konnte sich daher das Neich der Aufgabe nicht ent-
ziehen, die Voraussetzungen zu bestimmen für den Erwerb und den
Verlust nicht nur der Neichsangehörigkeit, sondern auch der Staats-
angehörigkeit. Das Reich folgte hierbei dem Vorbilde anderer zu-
sammengesetzten Staaten, insbesondere der Vereinigten Staaten von
Amerika und der Schweiz, die ebenfalls aus den oben entwickelten
Gründen die Regelung der Staatsangehörigkeit in den Kreis ihrer
Gesetzgebung hatten ziehen müssen. Das Verhältnis der Bundes= und
Staatsangehörigkeit ist jedoch in beiden Bundesstaaten verschieden. In
Nordamerika wird das Unionsbürgerrecht verliehen und entzogen, jeder
Unionsbürger ist aber zugleich Angehöriger des Einzelstaates, in dem
er seinen Wohnsitz hat. Die Angehörigkeit an den Gesamtstaat ist
also die Grundlage, und die Staatsangehörigkeit bestimmt sich nach
jener. In der Schweiz dagegen wird erworben und entzogen nur
das Kantonbürgerrecht, jeder Angehörige eines Kantous ist aber zu-
gleich schweizer Bundesangehöriger. Die Grundlage ist hier das Kanton-
bürgerrecht, und nach ihm bestimmt sich das Schweizerbürgerrecht.
Da in den Vereinigten Staaten nur das Unionsbürgerrecht verliehen
wird, kann die Verleihung nicht von den Einzelstaaten, sondern nur
von der Union ausgehen, während umgekehrt in der Schweiz, wo
das Schweizerbürgerrecht nur ein Anhängsel des Kantonbürgerrechtes
ist, die Verleihung beider nur von den Kantonen erfolgen kann. In
beiden Staaten fallen aber die Angehörigkeit an den Gesamtstaat und
an den Einzelstaat zusammen, werden gleichzeitig erworben und ver-
loren. Aus diesen Gründen kann auch die Gesetzgebung über den
Erwerb und über den Verlust der Bundes= und Staatsangehörigkeit
nicht Sache der Einzelstaaten, sondern nur des Gesamtstaates seim).
1) Vgl. Rüttimann, Das nordamerikanische Bundesstaatsrecht
verglichen mit den politischen Einrichtungen der Schweiz, Zürich 1867,
Teil I, S. 86 ff.; v. Orelli, Staatsrecht der Schweiz, und v. Holst,
Staatsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika in Marquard-
sens Handbuch des öffentlichen Rechtes, Bd. IV, 1. Halbband, 2. Abteilung.-