8 43 Reichs- und Staatsangehörigkeit. 263
Reich und Einzelstaaten bestehen neben einander und haben die-
selben Herrschaftsobjekte, dasselbe Land und dieselben Untertanen.
Beide üben aber ihre Herrschaft nicht in jeder Richtung aus. Viel-
mehr sind die Staatshoheitsrechte unter beide Rechtssubjekte verteilt.
Sowohl das Reich wie die Einzelstaaten bedürfen daher einer per-
sönlichen Grundlage ihrer Herrschaft und der persönlichen Hingabe
ihrer Untertanen. Daß die Bundesangehörigen zu solchen nur werden
können durch Erwerb der Staatsangehörigkeit eines Bundesstaates,
ist lediglich eine positivrechtliche Bestimmung des Reichsrechtes, von der
es gegenwärtig schon mehrfache Ausnahmen gibt, folgt aber mit nichten
aus dem Wesen des Bundesstaates. „Daher steht in gewissen Be-
ziehungen jeder Deutsche unter der Zentralgewalt, in anderen Be-
ziehungen unter der einzelnen Staatsgewalt, in keiner Beziehung aber
unter beiden zugleich“ê5), d. h. sofern es sich nicht um dem Reiche
ausschließlich gehörige Gebiete handelt. Das Reich wie der Einzelstaat
fordert daher in seinem Kreise den Dienst für den Staat, beispiels-
weise das Reich den Dienst im Heere und in der Marine, die Einzel-
staaten in den Selbstverwaltungsämtern. Beide geben ihren Unter-
tanen sogenannte politische Rechte, das Reich das allgemeine Wahl-
recht zum Reichstage, die Einzelstaaten Wahlrechte für die Landesver-
tretungen und die Körperschaften der kommunalen Verbände.
Da die Staatsangehörigkeit besondere Pflichten auferlegt und be-
sondere Rechte verleiht, so können nicht ohne weiteres alle Angehörigen
eines anderen deutschen Staates als preußische Staatsangehörige be-
trachtet werden, wenn sie sich innerhalb seines Gebietes aufhalten.
Auch für Reichsangehörige, die ihren Heimatsstaat verlassen, muß daher
die neue Staatsangehörigkeit als die Voraussetzung besonderer, aus
dem Landesstaatsrechte sich ergebender Rechte und Pflichten besonders
erworben werden. Eine Wirkung des gemeinsamen Reichsindigenates
ist es jedoch, daß der Erwerb einer neuen Staatsangehörigkeit einem
Deutschen nicht gleich einem Ausländer beliebig gewährt oder versagt
werden kann. Vielmehr muß unter den gesetzlichen Voraussetzungen
einem Reichsangehörigen das Landesindigenat, welches er verlangt,
verliehen werden. Da jemand eine neue Staatsangehörigkeit er-
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5) Aeußerung von Radowitz mit Bezug auf die 1849 ge-
plante Reichsverfassung, abgedruckt bei Waitz, Grundzüge der Politik,
Kiel 1862, S. 171, vgl. auch die weiteren Ausführungen ebenda S. 200 ff.