Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

268 Das Verfassungsrecht. 8 44 
werdens). Dagegen ist niemals, wenn ein Kaufmann jemandem un— 
bestellte Ware zuschickt, ein Rechtsakt zustande gekommen, bevor der 
Empfänger die Zusendung genehmigt und damit den Vertrag schließt. 
Die Verleihung erfolgt durch eine von der höheren Verwaltungs- 
behörde ausgefertigte Urkunde (§ 6). Als höhere Verwaltungsbehörde 
gilt in Preußen nach § 155 des Zuständigkeitsgesetzes vom 1. August 
1883 der Regierungspräsident, für den Landespolizeibezirk Berlin der 
Polizeipräsident. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit vollzieht sich 
nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift (8§ 10) erst mit dem Zeitpunkte 
der Aushändigung der Verleihungsurkunde, aber nicht weil erst mit 
der Annahme durch den Beliehenen die Willensübereinstimmung fest- 
gestellt ist, sondern weil niemand die aus der Staatsangehörigkeit 
erwachsenden Rechte und Pflichten eher überkommen kann, als bis 
er von der erfolgten Verleihung Kenninis hat. 
Die Verleihung der Staatsangehörigkeit erstreckt sich, sofern nicht 
dabei eine Ausnahme gemacht wird, zugleich auf die Ehefrau und die 
noch unter elterlicher Gewalt stehenden minderjährigen Kinder (8 11). 
Für die Verleihung der Staatsangehörigkeit sind verschiedene 
Rechtsnormen maßgebend, je nachdem es sich handelt um die Ver- 
leihung an den Angehörigen eines anderen deutschen Staates, also 
einen Reichsangehörigen oder an einen früheren Reichsangehörigen — 
hier heißt die Verleihung Aufnahme — oder um die Verleihung der 
Staatsangehörigkeit an einen Ausländer — hier spricht man von der 
Naturalisation. Zu unterscheiden sind also drei Fälle, die Aufnahme 
nicht staatsangehöriger Reichsangehöriger, die Aufnahme früherer 
Reichsangehörigen und die Naturalisation von Ausländern. 
1. Auf die Aufnahme in einem Bundesstaate hatte schon nach 
Art. 3 der Reichsverfassung jeder Deutsche ein Recht, sofern in seiner 
Person die gesetzlichen Voraussetzungen zutrafen. Diese gesetzlichen 
Voraussetzungen sind gegenwärtig enthalten in § 7 des Gesetzes vom 
1. Juni 1870. Hiernach wird die Aufnahmeurkunde jedem Ange- 
hörigen eines anderen Bundesstaates erteilt, welcher um sie nach- 
3) Ebenso Entsch, des Oberverwaltungsgerichts vom 23. Juni 1886, 
Bd. 13, S. 409, die in Uebereinstimmung mit den Ausführungen des 
Textes die Naturalisation als einen Verwaltungsakt in Ausübung der 
Staatshoheit auffaßt. Seitdem soll nach dem M.-E. vom 3. Febr. 1895 
Anträgen auf Naturalisation nur mit Genehmigung des Ministers des 
Innern stattgegeben werden.
	        
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