Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 44 Erwerb der Reichs= und Staatsangehörigkeit. 269 
sucht und nachweist, daß er in dem Bundesstaate, in welchem er die 
Aufnahme nachsucht, sich niedergelassen habe, sofern kein Grund vor- 
liegt, welcher nach den §8 2—5 des Gesetzes über die Freizügigkeit 
vom 1. November 1867 die Abweisung eines Neuanziehenden oder 
die Versagung der Fortsetzung des Aufenthaltes rechtfertigt. 
Unter den gedachten Voraussetzungen besteht eine rechtliche Ver- 
pflichtung für die höhere Verwaltungsbehörde, den Regierungs- 
präsidenten, die Aufnahmeurkunde zu erteilen. Wird die Erteilung 
versagt, so findet gegen den ablehnenden Bescheid innerhalb zwei 
Wochen die Klage bei dem Oberverwaltungsgerichte statto). 
Notwendige Voraussetzung ist also einmal, daß der Aufzunehmende 
bereits Angehöriger eines anderen deutschen Staates ist. Wäre er 
ein Ausländer, so würden für die Verleihung der Staatsangehörigkeit 
ganz andere rechtliche Normen maßgebend sein. Weiterhin ist er- 
forderlich, daß der Aufzunehmende sich in dem Bundesstaate, in dem 
er die Aufnahme nachsucht, niedergelassen hat. Hiernach kann die 
Aufnahme versagt werden, wenn die Niederlassung nicht erfolgt ist. 
Fraglich könnte aber sein, ob der Staat trotz nicht erfolgter Nieder- 
lassung zur Verleihung der Staatsangehörigkeit berechtigt ist, obgleich 
ein rechtlicher Anspruch auf die Verleihung in diesem Falle zweifellos 
nicht bestehen würdeio). Diese Frage ist zu verneinen. Es ergibt 
sich dies daraus, daß das Gesetz bei der Wiederaufnahme früherer 
Reichsangehörigen eine ausdrückliche Bestimmung für notwendig er- 
achtet, wonach diesen Personen auch ohne Niederlassung ihre frühere 
Staatsangehörigkeit verliehen werden kann. Wenn das Gesetz in 
diesem Falle eine ausdrückliche Hervorhebung des Umstandes, daß 
die Niederlassung nicht erforderlich sei, für notwendig erachtete, so 
wollte es in dem hier zur Erörterung stehenden Falle die Nieder- 
lassung zweifellos zur notwendigen Voraussetzung machen. Wann eine 
Niederlassung vorhanden ist, ist Tatfrage. 
Endlich darf kein Grund vorliegen, der nach dem Freizügigkeits- 
gesetze die Abweisung eines Neuanziehenden oder die Versagung der 
Fortsetzung des Aufenthaltes rechtfertigt. Diese Gründe sind nach 
") Zuständigkeitsgesetz vom 1. August 1883 8 165. 
10) Die herrschende Ansicht ist für die Bejahung, so Seydel in 
Hirths Ann. 1883, S. 585 ff., und Vayer. St.-R., Bd. 1, S. 530, 
N. 3, G. Meyer, 8 76, N. 14, Laband, dd. 1, S. 155, entgegen 
der in der ersten Auflage vertretenen Anschauung.
	        
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