272 Das Verfassungsrecht. 8 44
3. Die Naturalisation ist die Verleihung der Staatsangehörigkeit
und damit der Reichsangehörigkeit an Ausländer mit Ausnahme der-
jenigen, welche früher Juländer waren, aber diese Eigenschaft durch
die zehnjährige bzw. fünfjährige Frist verloren hatten. Der § 8 des
Gesetzes stellt gewisse Erfordernisse auf, bei deren Nichtvorhandensein
die Einzelstaaten die Naluralisation nicht erteilen dürfsen. Gleichwohl
hat, selbst wenn alle Bedingungen erfüllt sind, niemand ein Recht auf
die Naturalisation. Es bleibt in das freie Ermessen der Einzelstaaten
gestellt, die Naturalisation auch nach Erfüllung der reichsgesetzlichen
Bedingungen zu gewähren, oder zu verweigern. Deshalb ist z. B.
auch in Preußen gegen den die Naturalisation ablehnenden Bescheid
des Regierungspräsidenten nicht die Klage im Verwaltungsstreitver-
fahren gegeben. Aus dem freien Ermessen der Einzelstaaten innerhalb
der reichsgesetzlichen Schranken darf jedoch nicht der Schluß gezogen
werden, daß die Einzelstaaten gesetzlich außer den reichsrechtlichen Aus-
schließungsgründen noch andere aufstellen dürfteni). Denn das
Reichsrecht erschöpft die Indigenatsgesetzgebung und läßt für landes-
gesetzliche Bestimmungen keinen Raum. Daraus, daß den Landes-
regierungen freies Ermessen zusteht, folgt nicht ein Gesetzgebungsrecht
der Einzelstaaten, das das freie Ermessen der Landesregierungen aus-
schließt. Die Reichsgesetzgebung will eben die Entscheidung dem freien
Ermessen der Regierungen überlassen. Wenn nun auch in dieser Be-
ziehung durch Verordnung oder Instruktion in den Einzelstaaten den
Behörden ihr Verhalten allgemein vorgeschrieben werden kann, so darf
doch das reichsgesetzlich der freien Bewegung der Verwaltung über-
lassene Gebiet nicht durch die Gesetzgebung der Einzelstaaten festgelegt
werden.
Reichsgesetzlich darf nun die Naturalisationsurkunde Ausländern
nur dann erteilt werden, wenn sie
a) nach den Gesetzen ihrer bisherigen Heimat verfügungsfähig
sind, es sei denn, daß der Mangel der Verfügungsfähigkeit durch die
Zustimmung des Vaters, des Vormundes oder des Kurators des Auf-
zunehmenden ergänzt wird;
b) einen unbescholtenen Lebenswandel geführt haben;
15) Die herrschende Ansicht ist entgegengesetzt. Vgl. v. Rönne-
Zorn, Pr. St.--R., Bd. 1, S. 616; Laband, St.-R. des Deutschen
Reiches, Bd. 1, S. 156; Seydel, Bayer. St.-R., Bd. 1, S. 632. Ueber
einstimmend mit dem Texte v. Stengel, Pr. St.-R., S. 68.