Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

274 Das Verfassungsrecht. 8 41 
Vor Erteilung der Naturalisationsurkunde hat die höhere Ver- 
waltungsbehörde, also der Regierungspräsident bzw. der Berliner 
Polizeipräsident, die Gemeinde bzw. den Armenverband desjenigen 
Orts, wo der Aufzunehmende sich niederlassen will, in Beziehung auf 
die Erfordernisse des unbescholtenen Lebenswandels, des Unterkommens 
und der Fähigkeit der Ernährung zu hören. Die Erklärung der 
Gemeinde ist abzugeben durch den Gemeindevorstandts). Bei dessen 
Widerspruche soll die Naturalisationsurkunde nicht erteilt werden, 
wenn die Einwendungen erheblich sind?). Die Entscheidung über die 
Erheblichkeit steht aber immer dem Regierungspräsidenten bzw. dem 
Berliner Polizeipräsidenten zu. 
Daß in den ausschließlich unter dem Reiche stehenden Gebieten 
keine Staatsangehörigkeit, sondern lediglich die Reichsangehörigkeit 
verliehen wirdso), kommt für das preußische Staatsrecht nur insofern 
in Betracht, als diese Personen, wenn sie die preußische Staats- 
angehörigkeit nachsuchen, als Reichsangehörige nicht zu naturalisieren, 
sondern aufzunehmen sind. 
Die Staatsangehörigkeit braucht nicht durch eine die Aufnahme 
oder Naturalisation ausdrücklich aussprechende Urkunde verliehen zu 
werden. Vielmehr kann die Verleihung auch stillschweigend erfolgen, 
wenn jemand, der bisher die Staatsangehörigkeit nicht besaß, im 
Inlande als Beamter angestellt wird. Eine von der Regierung oder 
einer Zentral- oder höheren Verwaltungsbehörde eines Bundesstaates 
vollzogene oder bestätigte Bestallung für einen in den unmittelbaren 
oder mittelbaren Staatsdienstest) oder in den Kirchen--, Schul= oder 
13) Kabinettsordre vom 15. Juni 1844 und M.-R. vom 10. Juli 
1884, M.-Bl. d. inn. Verw. 1844, S. 219 ff. 
10) M.-R. vom 28. August 1845, M.-Bl. d. inn. Verw. 1845, S. 266. 
20) Für Elsaß-Lothringen vgl. Laband, St.-R. des Deutschen 
Reiches, Bd. 2, S. 197 ff.; für die deutschen Schutzgebiete, wo die Na- 
turalisation von Ausländern, die sich in einem Schutzgebiete niederlassen, 
sowie von Eingeborenen durch den Reichskanzler bzw. den von diesem 
beauftragten kaiserlichen Beamten vorgesehen wird, ohne daß durch diese, 
Naturalisation die Staatsangehörigkeit eines Bundesstaates verliehen 
würde, a. a. O. S. 259 ff. 
21) Dazu gehört der Offizierdienst, vgl. Laband a. a. O. Bd. 1, 
S. 158 N. 2. Selbst für Reserveofsiziere eines preußischen Regiments 
anerkannt durch Entsch, des Reichsgerichts in Strafsachen vom 22. März 
1892, Bd. 23, S. 17.
	        
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