8 48 Ständische Rechtsordnung. 297
an der die formelle Aufnahme der betreffenden Bestimmungen in die
Verfassungsurkunde nichts ändert. Daß die Grundrechte in staats—
rechtlichen Darstellungen immer noch unbegründeterweise in dem Ver—
fassungsrechte unter den Ausflüssen der Staatsangehörigkeit aufgeführt
werden, ist eine unberechtigte geschichtliche Ueberlieferung, die jedoch
der richtigen Erkenntnis zu weichen hatto).
Die Grundrechte haben einst eine geschichtliche Mission zu er-
füllen gehabt und sind von diesem Gesichtspunkte zu würdigen.
Sie räumen einmal im Sinne der modernen Staats= und Gesell-
schaftsordnung eine Reihe von Einrichtungen des absolutistisch-ständi-
schen Staates fort und wirken insofern rein negativ.
Sie suchen außerdem, da die Rezeption des konslitutionellen
Staatsrechtes den Oberbau einer parlamentarischen Verfassung un-
vermittelt auf den Unterbau einer absolutistischen Verwaltung gesetzt
hatte, die individuelle Sphäre durch Freiheitsrechte gegen die Willkür
der Verwaltung zu sichern und leitende Gesichtspunkte für eine künftige
Verwaltungsgesetzgebung zu geben. Darin lag ihre positive Bedentung.
Nach beiden Richtungen haben sie ihre Aufgabe erfüllt. Derzeit
wirken sie, namentlich auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, nur
als Hemmnis der gewöhnlichen Gesetzgebung, die immer in Sorge
sein muß, keine grundrechtlichen Bestimmungen zu verletzen.
Zweiter Citel.
Besondere Mlassen der Staatsangehörigen.
8 48. Die ständische Rechtsordnungt).
Der Mensch bedarf zu seinem Leben und zu seiner Entwicklung
der Güter der äußeren Natur. Er muß sich daher diese aneignen.
10) Diese richtige Auffassung ist begründet worden von v. Gerber
in seiner Schrift: Ueber öffentliche Rechte, Tübingen 1852, S. 76 ff.,
und Staatsrecht, § 10, N. 5, und 8§8 17.
"1) Vgl. vom allgemeinen Standpunkte aus besonders die bahn-
brechende Darstellung von L. v. Stein, Geschichte der sozialen Be-
wegung in Frankreich, Leipzig 1850, Bd. 1, Einleitung: „Der Begriff
der Gesellschaft"“" R. Gueist, Das englische Parlament in tausend-
jährigen Wandlungen, Berlin 1886, S. 1 ff.; für Deutschland Pütter,
Ueber den Unterschied der Stände, besonders des höheren und niederen
Adels, Göttingen 1795; Hüllmann, Geschichte des Ursprungs der
Stände in Deutschland, 2. Aufl., Berlin 1830; Eichhorn, Deutsche
Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 1, §8 15, 47, Bd. 2, 88 337 ff., Bd. 3,
8 446, Bd. 4, 88 644, 663.