Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

298 Das Verfassungsrecht. 8 48 
Schon in den untersten Kulturstufen reichen aber die vorhandenen 
Güter nicht zur Befriedigung aller aus. Einerseits sind zahlreiche 
Personen von dem Besitze der äußeren Güterwelt durch andere, mäch- 
tigere, überhaupt ausgeschlossen. Andererseits genügen aber in den 
gemäßigten Zonen auch die bloßen Roherzeugnisse für die Besitzenden 
allein nicht, es bedarf der Hervorbringung neuer Güter durch die 
Arbeit. Hier begegnet sich das Interesse der Besitzenden und der 
Nichtbesitzenden, erstere liefern besonders die ihnen gehörigen Güter, 
letztere die zu ihrer Verwertung nötige Arbeit. So entstehen durch 
die Beziehungen der Menschen zur äußeren Natur, die wir in ihrer 
Gesamtheit als Gesellschaft bezeichnen, mannigsache Abhängigkeits- 
verhältnisse, die sich mit jeder höheren Kulturstufe mehr ausgestalten 
und ineinander übergreisen. Je nach ihrer Beschäftigung entwickeln 
sich verschiedene Klassen der Gesellschaft. Die besitzenden Klassen 
haben nun das beständige Bestreben, ihr tatsächliches Verhältnis zur 
äußeren Güterwelt zu einem rechtlich anerkannten zu machen und 
damit die bloße Arbeit von dem Erwerbe der Güter, denen die 
Besitzenden ihre wirtschaftliche Stellung verdanken, auszuschließen. 
Da das Recht vorzugsweise Machtausdruck ist, gelingen diese 
Bestrebungen, sobald die besitzenden Klassen Einfluß auf die Staats- 
verfassung gewonnen haben. Dieser Einfluß ist aber da am ent- 
schiedensten zu erreichen, wo wie bei der Naturalwirtschaft des 
Mittelalters vorzugsweise eine Klasse, der Grundbesitz, in Betracht 
kommt und mit ihm keine andere um die Herrschaft im Staate 
kämpft. Sobald nun die besitzenden Klassen sich und ihre Besitzweise 
rechllich abgeschlossen und die minder oder gar nicht Besitzenden auf 
ihre Klasse beschränkt haben, wird die Klasse zum Stande. Stand 
ist also die rechtlich anerkannte Gliederung der Gesellschaft, vermöge 
deren jeder auf die von seinen Vorfahren überkommene Besitz= und 
Beschäftigungsart beschränkt und von jedem anderen Stande aus- 
geschlossen ist). 
2) L. v. Stein nimmt außer Klasse und Stand uoch als eine 
dritte Stufe der Gesellschaftsgliederung die Kaste an. Eine solche soll 
vorhanden sein, wenn die Gesellschaftsgliederung nicht nur rechtlich anu- 
erkannt, sondern, um die besitzenden Klassen völlig in ihrer Stellung 
zu sichern, durch Religionsvorschriften geboten ist. Das Kennzeichen 
ist richtig, es beruht aber allein darauf, daß in verschiedenen Ent- 
wicklungsstadien, jetzt namentlich im Oriente, das Recht noch nicht von
	        
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