Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

314 Das Verfassungsrecht. 3 45 
Abschließung. Soweit eine Bevorrechtigung in diesem Sinne vorliegt, 
sind die betreffenden Rechtsnormen zum mindesten mit dem Erlasse 
der Verfassungsurkunde aufgehoben. 
In dieser Beziehung kommt besonders in Betracht die durch 
die Kabinettsorders vom 16. Januar 183610) den Häuptern der 
rheinischen ritterbürtigen Adelsfamilien, welche nachweisbar vor Ein- 
führung der fremdherrlichen Gesetzgebung autonomische Festsetzungen 
über ihren Nachlaß und ihre Güter treffen durften, und vom 26. und 
28. Februar 183720) einigen Familien der westfälischen Nitterschaft 
in den Oberlandesgerichtsbezirkken Münster, Hamm und Arnsberg 
sowie der minden-ravensbergischen Ritterschaft eingeräumte Besugnis, 
unter gewissen Voraussetzungen über ihren Nachlaß zugunsten ihrer 
Nachkommen frei zu verfügen, ohne an die Beschränkungen des ge- 
meinen oder Provinzialrechtes gebunden zu sein. Es kann hier davon 
abgesehen werden, daß die betreffenden Kabinettsorders von Anfang 
an unverbindlich waren. Denn obgleich sie Abänderungen des ge- 
meinen Rechtes, also Gesetze im damaligen Sinne (§8 7 ff. Einl. 
A. L.-R.) waren und sich über mehrere Regierungsbezirke erstreckten, 
ist doch die unter diesen Voraussetzungen für ihre Verbindlichkeit not- 
wendige Verkündigung in der Gesetzsammlunget) niemals erfolgt. Der 
Inhalt der Kabinettsorders war aber auch sachlich unverbindlich, da 
er im Widerspruche stand mit dem Grundsatze der Rechtsgleichheit. Es 
handelt sich hier zwar auch um eine abweichende Normierung des 
Privatrechtes für gewisse Klassen von Personen. Die abweichende 
Normierung gewährt aber gleichzeitig ein Vorrecht, in dessen Besitz 
die nicht den betreffenden Adelsfamilien angehörigen Personen auf 
keine Weise gelangen können. Es wird ein ständisch exklusives Klassen- 
recht geschaffen, das als dem Arl. 4 der Verfassungsurkunde wider- 
sprechend mit deren Erlaß für aufgehoben anzusehen ist. Die auf 
Grund der Kabinettsorders getroffenen antonomen Versügungen 
müssen als rechtsungültig betrachtet werden#). Dagegen würde der 
19) v. Kamptz, Jahrbücher, Bd. 47, S. 399. 
20) A. a. O. Bd. 40, S. 290. 
21) Vgl. 8§ 82. 
22) v. Nönne-Zorn, Pr. St.-N., Bd. 2, S. 73, sieht ganz richtig 
jede rechtliche Bevorzugung oder Zurürksetzung wegen der Geburt, mag 
sie auf dem össentlichen oder dem Privatrechte beruhen, für ausge- 
hoben an, nicht dagegen die bloßen Singularrechte einzelner Stände. Wie,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.