Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 68 Das ständische System. 383 
lastete, umfassend, schließt gewohnheitsrechtlich und gesetzlich jeden, der 
nicht zu den längst im Besitze befindlichen ritterschaftlichen Familien 
Lehört, von dem Erwerbe der Rittergüter aus. Die Ritterschaft, von 
Hause aus nur eine Besitz= und Berufsklasse, wird damit zu einem 
in sich geschlossenen Geburtsstande, dem sogenannten niederen Adel, 
dessen Mitglieder die persönlichen Vorrechte ihres Standes auch dann 
behalten, wenn sie nicht mehr im Besitze von Rittergütern sind. Die 
Standschaft und die Stellung als Ortsobrigkeit bleibt allerdings an 
den Besitz des Rittergutes geknüpft, erwerben kann ein solches aber 
nur ein Adliger. Die Bauern werden ferner im Interesse ihres 
Gutsherren an die Scholle gebunden, sie dürfen ihr Dorf nicht ver- 
lassen, insbesondere nicht in die Stadt ziehen. Damit sind die drei 
Besitzklassen zu geschlossenen Geburtsständen geworden, aus denen 
niemand in einen anderen Stand übergehen kann. 
Nachdem die Landesherren durch die Umgestaltung des Heer- 
wesens in den Besitz der Machtmittel gekommen waren, um ihren 
Willen auch ohne und gegen den Willen der Stände durchzuführen, 
suchten sie den ständischen Einfluß zunächst da zu beseitigen, wo er 
ihnen am lästigsten war, nämlich in der Gesamtvertretung des Landes. 
Aufrecht erhalten blieb im ganzen und großen die Stellung der 
Stände als Ortsobrigkeiten, jedoch mit der Maßgabe, daß sie hier 
unter die strengste Aufsicht der neuen staatlichen Behörden gestellt 
und damit zur unbedingten Ausführung der staatlichen Anordnungen 
gCenötigt wurden. Vollständig unberührt blieb dagegen die ständische 
Gliederung der Gesellschaft, die Unmöglichkeit, aus einem Stande in 
den anderen überzugehen. Da die Stellung der Stände als Orts- 
obrigkeit in den Hintergrund trat, die ständische Gliederung der Ge- 
sellschaft aber vollständig erhalten wurde, so bildete sich im 18. Jahr- 
hundert naturgemäß die Anschauung aus, daß die Landstände, soweit 
sie noch bestanden, die Vertretung der gesamten, nach Ständen ge— 
gliederten Bevölkerung des Landes seien. Den mit dieser Ansicht 
vollkommen unvereinbaren Mangel einer Vertretung der Bauern 
mußte man durch irgend welche sophistische Erörterung aus dem 
Wege schaffen. Man erklärte sie, je nachdem der Standpunkt des 
betreffenden Schriftstellers ein philosophischer oder ein positiver war, 
entweder für eine Unbilligkeit oder rechtfertigte sie aus dem Mangel 
bollständiger Freiheit, weswegen die Bauern durch ihre Gutsherren
	        
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