386 Das Versassungsrecht. 8 59
Herrschaft in Anspruch. Dieses Volk als die Gesamtheit der Staats-
angehörigen darf nun rechtlich nicht in verschiedene Bestandteilc ge-
spalten sein. Zwar zerfällt das Volk nach Bildung, Besitz und Be-
schäftigung in zahlreiche Klassen. Es können auch an die Zugehörig-
keit zu der einen oder der anderen Klasse rechtliche Wirkungen
geknüpft sein. Damit ist das Voll aber noch nicht rechtlich in ein-
zelne Bestandteile gesondert. Das Recht knüpft hier Wirkungen an
die tatsächlich vorhandene Sonderung, aber es bewirkt keine Sonderung.
Es bleibt jedem Staatsangehörigen die Möglichkeit offen, von der
einen tatsächlich vorhandenen Klasse in die andere überzugehen.
Schwierigkeiten oder Unmöglichkeiten, welche dies verhindern, sind
tatsächlicher, aber nicht rechtlicher Natur. Die einzige Ausnahme, die
bevorrechtete Stellung des hohen Adels, bildet eine unbedeutende Aus-
nahme, welche den Gesamtcharakter des öffentlichen Lebens eben wegen
ihrer Bedentungslosigkeit unberührt läßt. Trotz der tatsächlichen Son-
derung in zahlreiche verschiedene Klassen bildet daher rechtlich das
Volk eine ungetrennte Einheit.
Diesem rechtlichen Wesen des Volles entspricht auch das
der Vollsvertretung. Während das rechtlich nach Ständen gegliederte
Volk keine andere Vertretung haben kann als eine solche nach Ständen,
ist bei dem einheitlichen Volke allein die einheitliche, d. h. nicht nach
Ständent) gesonderte Volksvertretung möglich. Nur die tatsächliche
Sonderung spiegelt sich wieder in den Parteien, die ihrerseits leine
staatsrechtliche, sondern eine politische Erscheinung sind.
Die Volksvertretung ist daher die Vertretung der Staatoange-
hörigen. Diese Vertretung ist aber nicht nach dem privatrechtlichen
Maßstabe des Auftrages oder der Vollmacht zu bemessen:). Es han
1) Wohl zu unterscheiden von Besitzmassen. Eine Vertretung nach
Besitzmassen wäre auch im heutigen Staate möglich.
2) Seydel, Bayerisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 9, verwirft die
Bezeichnung „Volksvertretung" überhaupt, da das Wort nur dem poli-
tischen Gedanken Ausdruck gebe, dem Volkswillen auf die Gestaltung
des Herrscherwillens Einfluß zu bverschaffen, dieser Zweck aber
nicht in der rechtlichen Form der Vertretung oder des Mandates
Verwirklichung gefunden habe. Der Zweck ist allerdings für die
rechtliche Konstruktion eines Rechtsinstitutes gleichgültig. Inhaltlich
träse aber der Einwand Seydels nur zu, wenn man den privatrecht-
lichen Begriff des Mandates zugrunde legte.