Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

434 Das Verfassungsrecht. g 66 
hätte daher nur dieselbe staatsrechtliche Bedeutung wie die einer 
beliebigen Privatversammlung. Allein die verfassungsmäßige gleich- 
zeitige Berufung beider Häuser des Landtages kann die einzelnen 
Personen zu politischen Körperschaften konstitnuieren#). 
Dem Könige ist durch Art. 76 der Verfassungsurkunde die Ver- 
pflichtung auferlegt, die beiden Häuser des Landtages regelmäßig in 
dem Zeitraume von dem Anfange des Monats November jeden Jahres 
bis zur Mitte des folgenden Januar einzuberufen. Diese Vorschrift 
ist, wie schon aus der Beifügung des Wortes „regelmäßig“ hervor- 
geht, eine rein instruktionelle und läßt die Rechtsgültigleit einer 
früheren oder späteren Berufung unberührt. Es gibt ferner keinerlei 
Mittel, die Berufung in dem gedachten Zeitraume zu erzwingen. 
Unrichtig ist es, daß eine Unterlassung der Einberusung in der an- 
gegebenen Frist das Ministerium wegen Verfassungsverletzung verant- 
wortlich machen würdet). Denn die Voraussetzungen der strafrechtlich 
verfolgbaren Verfassungsverletzung würden nicht vorliegen, für eine 
disziplinare Ahndung sehlen aber gesetzliche Bestimmungen. Die 
politische Verantwortlichkeit der Minister bleibt unleugbar. Die Be- 
stimmung der Verfassungsurkunde ist aber eine lex imperkecta). 
Außerdem muß der König nach einer Auflösung des Abgeord- 
netenhauses innerhalb eines Zeitraumes von nennzig Tagen nach der 
Auflösung die beiden Häuser des Landtages versammeln (Art. 51) 
Diese Vorschrift ist zwingender Natur, es ist keinerlei Ausnahme 
zugelassen. Sollte jedoch verfassungswidrig die Berufung nicht inner 
halb des vorgeschriebenen Zeitraumes erfolgen, so würde ebenfallt 
jedes Mittel sehlen, die Berufung zu erzwingen. Die Minister würd 
man nur haftbar machen können für von ihnen gegengezeichnet 
Handlungen des Königs, nicht aber für seine Unterlassungen. Ma 
könnte höchstens die Minister für haftbar erklären, wenn sie es unter 
lassen hätten, den König auf die verfassungsmäßig notwendige Be 
rufung des Landtages aufmerksam zu machen. Zu einer Strafverfol 
gung würden aber auch in diesem Falle die gesetzlichen Grundlage 
sehlen. Es bliebe nur die allgemeine politische Verantwortlichkeit 
Der regelmäßig in der Zeit vom November bis Jannar z 
berufende Landtag kann als der ordentliche bezeichnet werden. Fü 
5) Art. 77 Abs. 2 V.ru. 
4) So H. Schulze, Pr. St.--R., Bd. 1, S. 618. 
5) Anders in der 1. Aufl.
	        
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