Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

87 Die Zeit der Reformen u. der Revolution (1807—1848). 37 
rung der Gesellschaft. Diese erfolgte im wesentlichen durch das Edikt 
vom 9. Oktober 1807. Es befreite den Bauernstand von den Fesseln 
der Erbuntertänigkeit, wenn auch die dinglichen Belastungen des 
bäuerlichen Besitzes zugunsten des gutsherrlichen zunächst unverändert 
blieben. Es beseitigte ferner die Schranken, welche die Mitglieder 
des einen Standes verhinderten, zur Beschäftigungsweise des anderen 
überzugehen. Der Adel durfte auch bäuerliche Grundstücke erwerben 
und städtische Gewerbe betreiben, der Nichtadlige auch ohne besondere 
Erlaubnis und ohne jede weitere Beschränkung in den Besitz adliger 
Güter gelangen. Nach Aufhebung der ständischen Gliederung sollten 
als zweites Stadium der Steinschen Reform durch eine Selbstverwal- 
tung in Stadt und Land die nunmehr von hemmenden Schranken 
befreiten Kräfte der Nation der Staatsidee dienstbar gemacht werden. 
In den Städten war damit die Neubelebung der Gemeindeverfassung, 
auf dem flachen Lande die Beseitigung der gutsherrlichen Gerichts- 
barkeit und Polizei in Aussicht genommen. Die Krönung des neuen 
Gebäudes sollte endlich die Begründung einer Nationalrepräsentation 
als der Vertretung des ganzen Volkes sein. 
Zur Durchführung gelangte dieser Plau jedoch nur bis zu einem 
gewissen Punkte, bis zur Reform der städtischen Verwaltung durch 
die berühmte Städteordnung vom 19. November 1808, welche den 
staatsmännischen Ruf Steins für alle Zeiten begründet hat. Die 
Städteordnung zog die Mittelklassen wieder zu dem Dienste ihres 
städtischen Gemeinwesens und damit des Staates heran, sie weckte 
das Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten durch die Betätigung 
des altpreußischen Grundsatzes, öffentliche Rechte nur gegen Ueber- 
nahme öffentlicher Pflichten zu verleihen. Die Neugestaltung der 
obersten Verwaltung durch das Publikandum vom 16. Dezember 1808 
in fünf Fachministerien und einem geplanten Staatsrate und die der 
Provinzialbehörden durch die Verordnung vom 26. Dezember 1808 
war zwar von Stein noch vorbereitet, erfolgte aber erst nach seinem 
Rücktritte. 
Ehe die weiteren Stadien der Reform vollendet waren, mußte 
Stein aus dem Ministerium ausscheiden. Das ihm folgende, durch- 
aus in seinem Sinne handelnde Ministerium Dohna-Altenstein sah 
demgemäß seine Hauptaufgabe in der Verwaltungsreform für das 
flache Land, nach negativer Richtung also in der Beseitigung der guts- 
herrlichen Gerichtsbarkeit und Polizei, der gutsherrlichen Aufsicht über
	        
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