Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

452 Das Verfassungsrecht. 8 68 
vertretern an den Landtagsverhandlungen zum unabweisbaren Bedürf— 
nisse. Art. 60 der Verfassungsurkunde trägt dem in vollem Maße 
Rechnung durch die Bestimmung, daß die Minister sowie die zu ihrer 
Vertretung abgeordneten Staaltsbeamten Zutritt zu jedem der beiden 
Häuser des Landtages haben und auf ihr Verlangen zu jeder Zeit 
gehört werden müssen. 
Die Minister und ihre Vertreter erscheinen als Mitglieder der 
Staatsregierung, sie werden durch ihre Teilnahme an den Landtags- 
verhandlungen nicht Mitglieder des Landtages. Hieraus ergibt sich 
in verschiedenen Beziehungen eine Sonderstellung der Regierungs- 
vertreter gegenüber anderen Rednern. Die Disziplinargewalt des 
Präsidenten, beruhend auf der Geschäftsordnung des Hauses, erstreckt 
sich nicht auf die Regierungsvertreter, da die Geschäftsordnung nur 
Mitglieder des Hauses verpflichten kann. Dem Präsidenten steht es 
daher nicht zu, einen Regierungsvertreter zur Ordnung oder zur Sache 
zu rufen.). Ebensowenig kann einem solchen das Wort durch Beschluß 
des Hauses entzogen werden. Denn nach ausdrücklicher Bestimmung 
der Verfassungsurkunde müssen die Minister und ihre Beauftragten 
auf ihr Verlangen jederzeit gehört werden. Als unzulässig muß es 
auch bezeichnet werden, daß der Präsident die Rede eines Ministers 
unterbricht und ihn auf den parlamentarischen Brauch aufmerksam 
machte). Eine solche Unterbrechung könnte nur gerechtsertigt werden 
aus der Disziplinargewalt des Präsidenten, die eben den Regierungs- 
vertretern gegenüber ausgeschlossen ist. Sollte sich ein Minister oder 
dessen Beauftragter bei den Verhandlungen eines Hauses ein un- 
gehöriges Verhalten zuschulden kommen lassen, so bliebe dem betresfen- 
den Hause kein anderes Mittel übrig als die Beschwerde beim Könige 
bzw. dem vorgesetzten Minister des Kommissars. Allenfalls kann eine 
Bemerkung des Präsidenten für zulässig erachtet werden, daß er die 
Aeußerung des Regierungsvertreters gerügt hätte, wenn sie von einem 
Mitgliede des Hauses gefallen wäre. 
1) Streitfrage im preußischen Abgeordnetenhause 1863. Vgl. den 
Bericht der Geschäftsordnungskommission vom 13. Mai 1863 in den 
Drucks. VII. Legislaturperiode, 2. Session Bd. IV., Nr. 159, S. 4 u. 5, 
Sten. Ber. Bd. V, S. 923. 
2) Diese Befugnis will z. B. H. Schulze, Pr. St.-R., Bd. 1, 
S. 629, dem Präsidenten des Hauses gegenüber den Regierungsver- 
tretern zugestehen.
	        
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