Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

l 71 Der Erlaß von Rechtsnormen. 469 
öffentliche Recht ist nur nähere Maßbestimmung für die Ausübung 
des staatlichen Herrschaftsrechtes. Ob die Bestimmung sich an die 
Staatsangehörigen im allgemeinen oder an die Behörden wendet, 
ist dabei ganz gleichgültigs). 
Allein es muß doch etwas allen Rechtsnormen Gemeinsames 
geben, um welche Gebiete es sich auch handeln mag. 
Das Wesentliche der Rechtsnorm ist die abstrakt-hypothetische Form. 
An einen abstrakt vorausgesetzten Tatbestand, der schon bestehen oder 
nur gedacht sein, der einmal oder unendlich oft vorkommen kann, 
werden, so oft die Voraussetzung zutrifft, von der Staatsgewalt durch 
den staatlichen Rechtszswang zu verwirklichende Rechtsfolgen ange- 
knüpfto). Dabei darf man freilich nicht Rechtsnorm und Gesetzes- 
paragraphen verwechseln. Denn eine Rechtsnorm kann auf verschie- 
dene Paragraphen verteilt sein, indem der eine, z. B. die Legal- 
definition, nur die Rechtsvoraussetzung enthält, in anderen die Rechts- 
folgen bestimmt werden. 
Damit wird objektives Recht geschaffen, Rechtsordnung, aber keine 
Berechtigung. Insofern steht die Rechtsnorm im Gegensatze zum 
Rechtsgeschäfte. Allein es ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß 
aus der Rechtsnorm, wo sie menschliche Lebensverhältnisse berührt, 
also praktisch wird, auch einmal gelegentlich unmittelbar subjektive 
Rechte und Pflichten erwachsen (Intestaterbrecht, Nachbarrecht). 
Die Rechtsnorm kann den Rechtszustand abändern, sie muß es 
aber ihrem inneren Wesen nach nicht unter allen Umständen. Auch 
die Neuabfassung eines schon bestehenden Rechtssatzes ist Rechtsnormto). 
8) Auch das Reichsgericht, Entsch. vom 26. März 1901 in Zivil- 
sachen Bd. 48, S. 85 gegen die Unterscheidung von Rechtsnormen und 
Verwaltungsvorschriften, da auch Anweisungen an die Verwaltungsbe- 
hörden Rechtsnormen sein könnten. Für den Streit über die Gegen- 
stände der Gesetzgebung folgt daraus nichts, weder Arubt, Das selbst- 
ständige Verordnungsrecht, Berlin 1902, noch Hubrich, Das Reichs- 
gericht über den Gesetz= und Verordnungsbegriff, Berlin 1905, berufen 
sich daher mit Recht darauf. 
9) Diese Ansicht wird jetzt auch geteilt von Laband, Reichs- 
staatsrecht (im Oeffentlichen Rechte der Gegenwart), S. 109. 
10) Die Behauptung von Seligmann, S. 147 ff., nur die pri- 
märe Rechtsschöpfung sei materielle Gesetzgebung, ist bereits widerlegt 
von Jellinek, S. 241, N. 23. Dieser weist unter anderem darauf 
hin, daß nach jener Lehre die Strafgesetzbücher, indem sie Mord und 
Diebstahl verböten, nicht Rechtssätze, sondern Verwaltungsvorschriften, 
d. U. tatsächliche Anordnungen, enthielten.
	        
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