474 Das Verfassungsrecht. 8 72
Gegenstand der tatsächlichen Anordnung ist die Herstellung eines
gewissen tatsächlichen Zustandes. Dieser Zustand muß nötigenfalls
durch Anwendung staatlicher Zwangsmittel herbeigeführt werden. Jede
tatsächliche Anordnung gipfelt also schließlich in dem Zwange. Selbst-
verständlich fängt man mit diesem nicht an. Es ist das regelmäßige
und als natürlich vorauszusetzende Verhältnis, daß die Staatsange-
hörigen sich gutwillig den staatlichen Anordnungen fügen. Der Befehl
geht daher dem unmittelbaren physischen Zwange stets voran. Schon
hieraus ergibt sich, daß eine tatsächliche Anordnung sich in mehrere
Einzelakte auflösen kann. An die Anordnung, daß ein Kanal auf
Staatskosten zu bauen ist, schließen sich tausende anderer Anordnungen
an, die sämtlich entweder mittelbar oder unmittelbar die Herstellung
des angeordneten tatsächlichen Zustandes, der Wasserstraße, zum
Gegenstande haben. Von diesen Einzelakten wird in der Regel nur
der erste, grundlegende vom Könige getroffen, die übrigen sind Sache
der Behörden. Die Regierungsanordnung geht also, ohne daß ein
anderes Unterscheidungsmerkmal als die Person des Befehlenden vor-
handen wäre, unmerklich in die Verwaltungsanordnung über. Ins-
besondere ist die Anwendung unmittelbaren Zwangs, in dem jede tat-
sächliche Anordnung gipfelt, Sache der Verwaltung.
Ebenso wie die einheitliche tatsächliche Anordnung, die nur einen
einzigen Gegenstand betrifft, sich auflösen kann in zahllose Einzelakte,
die dasselbe Ziel zu erreichen bezwecken, kann eine einzige tatsächliche
Anordnung in mehreren Fällen einen gewissen Zustand herbeiführen.
Eine königliche Anordnung, daß die Infanteristen statt der Waffen-
röcke Blusen zu tragen haben, ersetzt die Bekleidung jedes einzelnen
Soldaten durch eine andere, eine königliche Anordunng, gelegentlich
des stattgehabten Regierungswechsels die Beamten neu zu vereidigen,
macht die Vereidigung zahlloser Beamten erforderlich. Ebensowenig
wie die Allgemeinheit ein wesentliches Begrisfsmoment der Rechtsnorm
war, schließt die Allgemeinheit des Befehls aus, daß es sich um eine
tatsächliche Anordnung handelt. Es gibt also tatsächliche Anordnungen
allgemeiner Natur wie Rechtsnormen, die nicht allgemein sind. Jene
Auffassung, welche die Allgemeinheit für ein wesentliches Begriffs-
moment der Rechtsnorm hält, und nun vollends den Erlaß einer
Rechtsnorm nur im Wege der förmlichen Gesetzgebung für zulässig
crachtet, muß mit Notwendigkeit dazu kommen, für jede Veränderung
in der Schuhbekleidung oder der Helmspitze der Soldaten die Gesetz-