Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

480 Das Verfassungsrecht. § 73 
Eine Sonderstellung nehmen jedoch die Gerichte ein. Sie sind 
nach Art. 86 der Verfassungsurkunde unabhängige, keiner anderen 
Autorität als der des Gesetzes unterworfene Behörden. Die Aus- 
legung des Gesetzes steht daher ihnen allein zu, und sie haben sich 
an diejenige Aussassung, welche der König über ein Gesetz hegt und 
in einer Ausführungsverordnung zum Auedrucke gebracht hat, nicht 
zu halten. Zwar sind nach Art. 106 der Verfassungsurkunde könig- 
liche Verordnungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsgültigkeit mit der 
Verlündigung auch für den Richter verbindlich. Sollte jedoch die 
königliche Verordnung nach ihrem Inhalte nicht beabsichtigen, eine 
authentische Auslegung des Gesetzgebers, sondern nur eine Auslegung 
des Königs als Inhabers der Regierungsgewalt zu geben, indem sie 
sich Jz. B. als Ausführungsverordnung zur Erklärung des Gesetzes 
ausgibt, so wäre ihr eine Verbindlichkeit für den Richter nicht bei- 
zumessen. Es würde im Gegenteile angunehmen sein, daß die Ver- 
ordnung nur eine Anweisung für die den königlichen Anordnungen 
zum unbedingten Gehorsame verpflichteten Behörden über die Aus- 
legung und Anwendung des Gesetzes geben, nicht aber eine neue all- 
gemein verbindliche Rechtsnorm aufstellen wollte. Ob der eine oder 
der andere Charakter einer königlichen Verordnung beizulegen ist, muß 
im gegebenen Falle als Tatfrage betrachtet werden. 
Soweit der König eine Ausführungsverordnung erlassen darf, 
laun er dieses Recht auch einzelnen Behörden übertragen. Bei allen 
Ausführungsverordnungen, die nicht bloße Auslegungen sind, muß 
aber die Uebertragung in jedem einzelnen Falle ausdrücklich erfolgen. 
Die Verfassungsurkunde legt die Befugnis zum Erlasse von Ausfüh- 
rungsverordnungen keinem staatlichen Organe, sondern dem Könige 
bei. Sie bestimmt aber nicht, daß der König alle zur Ausführung 
erforderlichen einzelnen Bestimmungen auch selbst treffen muß. Wie 
bei allen Regierungsakten lann sich der König auch hier seiner Organe 
bedienen. Die Ausführungsverordnung kann sich daher darauf be- 
schränken, eine Behörde mit der weiteren Ausführung zu beauftragen 
und ihr die erforderlichen Anordnungen zu überlassen. Die königliche 
Regicerungsverordnung besteht dann in der Uebertragung, während alle 
nismus halten und die Staatsangehörigen nur mittelbar berühren. 
Sie können für die Gegenwart wirklichen Gesetzescharakter haben, wie 
z. B. die Regierungsinstruktion vom 23. Oktober 1817.
	        
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