Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

506 Das Verfassungsrecht. 877 
Staates von Hause aus entzogen. Der König kann zwar in Aus— 
übung seiner königlichen Gewalt Verordnungen jeder Art erlassen. 
Diese dürfen jedoch keinerlei Bestimmung enthalten, welche die Læx 
abänderte). Will der König die liex, die als angeborenes Recht jedes 
freien Mannes gilt, abändern, so bedarf er dazu die Zustimmung der 
Volksgemeinde. Aus dem Begrisse der Lex als des angeborenen und 
deshalb der königlichen Willkür entzogenen Rechles ergibt sich, daß 
bei Erteilung der Zustimmung der Volksgemeinde anfangs bloße 
Mehrheitsbeschlüsse nicht für hinreichend zur Abänderung der l## er- 
achtet wurden. Dies ist das Rechtsverhältnis in der karolingischen Zeit'). 
Die mit Zustimmung der Volksgemeinde erfolgte Abänderung der len 
wird aber durch die Zustimmung ihrerseits wieder zur lex und kann 
daher einer neuen Aenderung auch nur in denselben Formen unter- 
liegen (Capitulare pro Lge tenendum). 
Der Begriff des Gesetzes bestimmt sich also nach dem Inhalte. 
Es ist das der willkürlichen Abänderung seitens der Staatsgewalt ent- 
zogene Privat-, Straf= und Prozeßrecht ohne Rücksicht auf die Rechts- 
quelle, mag diese Gewohnheitsrecht oder eine königliche Verordnung 
sein, welche die Zustimmung der Beteiligten erhalten hat. Während 
das römische Recht den Begriff des Gesetzes nur nach der Art seiner 
Entstehung bestimmt, in jeder Erklärung des Willens der sonveränen 
Staatsgewalt ohne Rücksicht auf deren Inhall ein Gesetz sieht, wird 
im älteren deutschen Rechte die Begriffsbestimmung lediglich aus dem 
Inhalte des Gesetzes, Privat-, Stras= und Prozeßrecht, ohne Rück 
sicht auf seine Entstehung, Gewohnheit oder vom Volle genehmigte 
Verordnung, geschöpft. Kannte das römische Recht nur Gesetze im 
formellen Sinne, so gibt es nach älterem deutschen Rechte nur Gesetze 
6) Zu weit geht Sohm, Fränkische Neichs- und Gerichtsverfassung, 
Weimar 1871, S. 102, wenn er sagt: „Die gesetzgebende Gewalt ist in 
der Slaatsgewalt nicht enthalten.“ Die gesetzgebende Gewalt, ausgefaßt 
uls Befugnis zum Erlasse von Rechtsnormen, hat der König sehr wohl 
z. B. auf dem Gebiete des Verwaltungsrechtes, nicht aber auf dem der 
I#0K terrac. 
7) Vgl. Capit. III, (I. a. 80.3 c. 19: „DOl Dbopulus interrogelur eil Gpi- 
lulis, deuac in legçe noviter addita sunt ch postquam Cmnes consenserint, sull- 
s riptionces — faciant“. Capit. Caroli Calvi regis d. u 861: „II1 duoniam lex 
consensu populi fit et constitutione regis“. Dieses durchaus in den ger- 
manischen Staatsanschauungen begründete Rechtsverhältnis kehrt wieder 
in der angelsächsischen Monarchie und später in den nordischen Reichen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.