Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

510 Das Verfassungsrecht. 877 
sich diese Mitwirkung ganz verlieren, wo wie in den brandenburgi— 
schen Landen die Stände von der Teilnahme an den öffentlichen 
Angelegenheiten vollkommen zurückgedrängt waren. In den anderen 
Gebieten, in denen sich die ständische Tätigleit erhielt, war die Mit- 
wirkung bei der Gesetzgebung vielfach unklar und unbestimmt, so daß 
ein gemeines deutsches Staatsrecht in dieser Beziehung nicht mehr 
bestand. Moser) spricht sich daher über die ständische Teilnahme an 
der Gesetzgebung folgendermaßen aus: „Da das Recht, Geseze zu geben, 
ein Stück der Landeshoheit ist, so folgt von selbst daraus, daß es 
dem Landesherren zustehe. Wie aber alle einzelne Theile der Landes- 
hoheit in Ansehung der Art, sie auszuüben, auf allerley Weise einge 
schränkt seyn können, so findet es sich auch in diesem Stück. Aus 
allem oben angeführten kan man sicher so vil schließen: 1. Daß or 
dentlicher Weise in allen Teutschen Landen, in welchen Landstände vor 
handen seynd, selbige bei Errichtung neuer, oder Abänderung oder 
Abschaffung alter allgemeiner (oder auch derer die Landes Gerecht 
same berührender, besonderer,) Geseze und Ordnungen mit beygezogen 
werden und mitwürcken. 2. Die Art und Weise solcher Mit-Wür 
clung aber ist a. in manchen Landen dunkel, unbestimmt, des Landes- 
herrus Willkühr überlassen, und veränderlich, b. in anderen Landen 
aber seynd zwar die Nechte des Landesherruns und der Land 
stände in diesem Stück durch Verträge, oder das Herkommen bestimmt 
geung, aber so, daß die Landstände an einem Ort mehr, an anuderen 
aber weniger dabey zu sagen haben.“ 
Trotzdem diese Unbestimmtheit hinsichtlich der ständischen Mitwir 
kung zu einer Verdunkelung des Rechtszustandes geradezu heraus- 
sorderte, erhielt sich mit einer geradezu bewunderuswerten Zähigkeit 
und Unverwüstlichleit in der Volksüberzeugung der alte germaunische 
materielle Gesetzesbegriss, von dem man jetzt nur das Gewohnheits- 
recht ausschied. Es wurde jetzt noch wesentlich gestützt dadurch, 
das, der Polizeistaat nur noch auf dem Gebiete der Justiz eine feste 
Rechtsordnung anerkannte, sie aber sonst vernichlete. Die Unterschei- 
dung der Gesetze von den anderen Rechtsnormen hatte auch im abso- 
luten Staate noch eine rechtliche Bedeutung, da die Gesetze, um für die 
Untertanen verbindlich zu werden, einer förmlichen Verkündigung be- 
12) J. J. Moser, Landeshoheit in Regierungssachen, Frankfurt 
und Leipzig 1772, S. 305.
	        
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