Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

877 Geschichtliche Entwicklung des Gesetzesbegriffes. 511 
durftents). Der Gesetzesbegriff des absoluten Staates war aber nichts 
weniger als rein formeller. Die Behauptung, im Sinne des ab- 
soluten Staates sei jede königliche Anordnung, welche in der Gesetz- 
sammlung erschien, Gesetz gewesen!t), steht in direktem Widerspruche mit 
den klaren Bestimmungen des bis 1848 geltenden preußischen Staats- 
rechtes. Das A. L.-R., Einl. § 7 gibt vielmehr eine Begriffsbe- 
stimmung des Gesetzes, die der tausend Jahre alten germanischen 
Rechtsüberzeugung entsprach und fast unverändert in einem Volksrechte 
der karolingischen oder einem Rechtsbuche der hohenstaufischen Zeit hätte 
Platz finden können. Nur zieht dic landrechtliche Kodifikation über den 
Polizeistaat hinaus wieder große Teile des Staats= und Verwaltungs- 
rechts in die Gesetzgebung. Es erklärt für Gesetze alle Verordnun- 
gen, durch welche die besonderen Rechte und Pflichten der Bürger be- 
stiumt, oder die gemeinen Rechte abgeändert, ergänzt oder erklärt 
werden sollent5.). Gesetze sind also nicht alle Rechtsnormen, sondern 
nur eine bestimmte Art von ihnento). 
Betrachtet man das A. L.-N. nur als das Endglied einer langen 
rechtsgeschichtlichen Entwicklung, so ist es auf den ersten Blick klar, 
welche Bedeutung der in 87 Einl. enthaltenen Begriffsbestimmung bei- 
zumessen ist. Es ist der uralte germanische materielle Gesetzesbegriff, 
umfassend alle Normen des Privat-, Straf= und Prozeßrechtes, aber 
auch einzelne des Staats= und Verwaltungsrechts!). Die Mitwirkung 
der meliores terrae bei Erlaß neuer Gesetzesnormen ist freilich ebenso 
15) Geradezu unbegreiflich erscheint es, wie v. Rönne, Pr. St.-R., 
Bd. 1, S. 366 wörtlich behaupten kann: „Das Staatsrecht vor Erlaß 
der Verfassung machte keinen Unterschied zwischen Gesetz und Verord- 
nung.“ Ein einziger Blick auf das A. L.-R. Einl. §8§ 7—11 mußte ihn 
belehren, daß genau das Gegenteil der Fall war. Wenn das Reichs- 
gericht in der Entsch. in Zivilsachen vom 5. Oktober 1891, Bd. 28, 
S. 303 für die vorlandrechtliche Zeit ausführt, jeder auf Schaffung 
eines Rechtssatzes gerichtete Wille des Königs habe Gesetzeskraft ge- 
habt, so meint es damit nur, der Nachweis der Publikation sei 
nicht ersorderlich. 
14) Arndt, Verorduungsrecht, S. 152. 
15) Vgl. über die Stelle auch §8 80. 
16) Beispiele aus der Zeit vor 1848, wo den Gesetzen andere 
Rechtsnormen ausdrücklich gegenübergestellt werden, s. bei Arndt, 
a. a. O., S. 31. 
17) Das Kirchenrecht ist im Sinne des Territorialsystems Staats- 
recht.
	        
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