526 Das Verfassungsrecht. 5 79
stimmung des Art. 62 Abs. 3 ist dies, daß die Vorlage der Finanz-
gesetzentwürfe zuerst an das Abgeordnetenhaus erfolgen muß.
Man kann von dieser Ausnahmebestimmung — um eine solche handelt
es sich allerdings — nicht auf die Regel schließen, daß die Regierung
sonst Gesetzentwürfe beiden Häusern gleichzeitig vorlegen dürfe, sondern
nur auf die, daß sie die Wahl habe, welchem Hause sie ihn zuerst
vorlegen wolle, und dieses letztere Recht ist vollständig unbestritten.
Für die entgegengesetzte Ansicht, daß die gleichzeitige Einbringung von
Gesetzentwürfen in beiden Häusern unzulässig sei, beruft man sich auf
Art. 64 der Verfassungsurkunde, wonach die von einem Hause ab-
gelehnten Gesetzentwürfe in derselben Sitzungsperiode nicht wieder
vorgebracht werden können'). Das ist ein bloßer Verlegenheitsgrund.
Denn es bedarf keiner weiteren Ausführung, daß es nicht unter
den Begriff des „wieder“ Vorbringens fällt, wenn ein Gesetzentwurf
in beiden Häusern gleichzeitig eingebracht, aber von einem abgelehnt
wird. Die sonstigen Gründe für die zweite Ansicht, wie Widerspruch
mit den Zwecken des Zweikammersystems u. dgl.s), sind politische
Gesichtspunkte ohne staatsrechtliche Bedeutung.
Entscheidend ist, daß die Verfassungsurkunde kein allgemeines
Verbot der gleichzeitigen Vorlage enthält. Was aber nicht verboten
ist, ist erlanbt. Es steht kein rechtliches Hindernis im Wege, einen
Gesetzentwurf gleichzeitig in beiden Häusern einzubringen. Ob diese
gleichzeitige Einbringung zweckentsprechend erscheint, ist aber eine
politische und keine staatsrechtliche Frage. Die Regierung hat also
rechtlich die vollständige Freiheit, einen Gesetzentwurf bei beiden Häusern
gleichzeitig oder bei einem der beiden Häuser nach ihrem Gutdünken
zuerst einzubringen. Aber gerade wegen der politischen Zweckwidrig-
keit der gleichzeitigen Einbringung handelt es sich um eine staats-
rechtliche Doktorfrage.
Von dem allgemeinen Grundsatze besteht nur eine Ausnahme.
Nach Art. 62 Abs. 3 der Verfassungsurkunde sollen nämlich Finanz-
!) So v. Rönne, Pr. St.-R., VBd. 1, S. 360, der jedoch S. 361
selbst eine von seinem Standpunkte aus gar nicht zu rechtfertigende-
Ausnahme macht: „Wenn Initiativanträge beide Häuser gleichzeitig
beschäftigen.“
8) Vgl. v. Rönne, d. a. O.