Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

46 Grundzüge der Verfassungsgeschichte. 87 
Verfassung in der Erfüllung ihrer bundesmäßigen Verpflichtungen eine 
Hinderung oder Beschränkung erfahren. 
Gleichwohl ruhte die Verfassungsfrage in Preußen noch mehrere 
Jahre, und erst am 5. Juni 1823 erschien das allgemeine Gesetz 
wegen Anordnung der Provinzialstände, womit die Ausführung der 
vielfach verheißenen landständischen Verfassung beginnt. Nach diesem 
Gesetze sollten Provinzialstände „im Geiste der älteren deutschen Ver- 
fassung“ eingeführt werden, wic solche die Eigentümlichkeit des Staates 
und das wahre Bedürfnis der Zeit ersordern. Das Grundeigentum 
wurde für eine Bedingung jeder Standschaft erklärt, die Provinzial- 
stände für das gesetzmäßige Organ der verschiedenen Stände der Unter- 
tanen in jeder Provinz. Der Geschäftskreis der Provinzialstände er- 
fuhr eine Feststellung dahin, daß ihnen 1. die Gesetzentwürse, welche 
allein die Provinz angiugen; 2. solange keinc allgemeinen ständischen 
Versammlungen stattfänden, die Entwürfc solcher allgemeinen Gesetze, 
welche Veränderungen in Personen= und Eigentumsrechten und in 
den Stenern zum Gegenstande hätten, soweit sie die Provinz be- 
träsen, zur Beratung vorgelegt werden sollten; 3. daß sie Bitten 
und Beschwerden, welche auf das spezielle Wohl und Interesse der 
ganzen Provinz oder eines Teiles derselben Bezug hätten, an den 
König befördern könnten; 4. daß endlich die Kommnnalverwaltung der 
Provinz ihren Beschlüssen vorbehaltlich der königlichen Genehmigung 
und Aussicht überlassen werden sollte. 
Eine Reihe provinzieller Gesetze bestimmte demnächst die Zu- 
sammensetzung der einzelnen Provinziallandtage. Den ersten Stand 
bildeten in der Regel die ehemals Reichsunmittelbaren und Standes- 
herren, welche Virilstimmen hatten, den zweiten die Abgecordneten der 
Ritterschaft, d. h. der Rittergutsbesitzer, der in den westlichen Pro- 
vinzen ebensoviele Abgeordnete wie der Stand der Städte und der 
der Landgemeinden, in den östlichen Provinzen dagegen durchschnittlich 
ebensoviele wic die beiden letzten Stände zusammen hatten. 
Gegen die Feststellung der Zuständigkeit der Provinzialstände war 
nichts einzuwenden. Bedenken mußte dagegen die Art ihrer Zusammen- 
setzung erregen, wenn auch anzuerkennen ist, daß diese in keiner 
Weise mit den früheren königlichen Zusicherungen im Widerspruche 
stand. Es macht sich in diesen Gesetzen unverkennbar der wieder- 
erwachende Einfluß des Großgrundbesitzes geltend. Nicht darin bestand 
der Fehler, daß man die Vertretungen nach Besitzmassen zusammen-
	        
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