Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 80 Die Gegenstände der Gesetzgebung. 537 
Außer dieser Uebergangsbestimmung ist aber aus Art. 109 noch 
ein anderer allgemeiner Rechtsgrundsatz zu entnehmen. Es bleibt 
nämlich das Gesetz in Kraft, bis es durch Gesetz aufgehoben wird. 
Nur ein Gesetz kann ein anderes Gesetz beseitigen. Ist demnach über 
einen Gegenstand, der an und für sich nicht im Wege der Gesetz- 
gebung geregelt zu werden brauchte, ein Gesetz ergangen:), so ist 
dieser Gegenstand damit für immer dem einseitigen königlichen Ver- 
ordnungsrechte entzogen, er ist nunmehr notwendig ein Gegenstand 
der Gesetzgebung. 
Die Verfassungsurkunde selbst hat, obgleich durch einseitige könig- 
liche Verordnung erlassen, aus zwei Gründen den Charakter des Ge- 
setzes. Sie ist ein Gesetz, weil sie das in dem Allgemeinen Land- 
rechte enthaltene gemeine preußische Staatsrecht in den mannigfachsten 
Beziehungen abändert und ergänzt. Sie ist aber auch deshalb ein 
Gesetz, weil Art. 107 der Verfassungsurkunde ausdrücklich erklärt, daß 
sie auf dem ordentlichen Wege der Gesetzgebung in einer erschwerten 
Form, nämlich mit absoluter Stimmenmehrheit in je zweimaliger Ab- 
stimmung beider Häuser des Landtages, zwischen welchen ein Zwischen- 
raum von 21 Tagen liegen müsse, abgeändert werden könne. Eine 
Anordnung, die nur durch Gesetz abgeändert werden kann, hat aber, 
auch wenn sie in anderer Form zustande gekommen ist, selbst den 
Charakter des Gesetzes. 
Es muß demnach als Gegenstand der Gesetzgebung betrachtet 
werden: 
1. alle in der Verfassungsurkunde oder den sie abändernden 
Verfassungsgesetzen enthaltenen Bestimmungen; 
2. die Abänderung, Ergänzung oder Erklärung der gemeinen 
Rechte und Bestimmung der besonderen Rechte und Pflichten 
der Staatsangehörigen; 
3. die in der Verfassungsurkunde oder sonstigen Reichs= und 
Landesgesetzen besonders bezeichneten Gegenstände; 
4. alle Gegenstände, die bereits durch Gesetz geregelt sinds). 
7) Das geschieht vielfach, weil die Regierung nicht die Verant- 
wortlichkeit allein übernehmen, sondern sie auf den Landtag mit ab- 
wälzen will. Vgl. z. B. das Privatdozentengesetz (sog. Lex Arons) 
vom 17. Juni 1898. Erfahrungsgemäß dehnt sich daher im konsti- 
tutionellen Staat das Gebiet der Gesetzgebung immer weiter aus 
auf Kosten der freien Regierung. 
8) Uebereinstimmend v. Stengel, Pr. St.-R., S. 167. 
 
	        
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