Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

542 Das Verfassungsrecht. 8 81 
werden, welche nur durch ein „mit Zustimmung beider Häuser des 
Landtages zu erlassendes Gesetz“ abgeändert werden könne. Die gleiche 
Bestimmung enthält die Verordnung vom 10. November 18656) 
bezüglich der Veränderung der Landschaftsbezirke für die Präsentation 
der Herrenhausmitglieder. 
Soweit aber die Verfassungsurkunde eine solche ausdrückliche 
Bestimmung nicht trifft, sondern nur ein Gesetz erfordert, ist nicht 
abzusehen, weshalb dadurch der Erlaß von Notverordnungen ausge- 
schlossen sein sollte. Jndem die Verfassungsurkunde Art. 63 den unter 
den dort genannten Voraussetzungen erlassenen Verordnungen „Gesetzes- 
kraft“ zuschreibt, stellt sie diese dem Gesetze eben gleich und sagt, daß 
da, wo bloß ein Gesetz erfordert wird, auch die Nolverordnung ge- 
nügt. Die Frage löst sich auf in ein einfaches Rechenegempel. Ist 
ygleich &K — und daß dies der Fall ist, sagt Art. 63 —, dann kann 
ich überall, wo A steht, statt dessen ysetzen. 
Die Ansicht, daß durch die Ausstellung des bloßen Erfordernisses 
eines Gesetzes an zahlreichen Stellen der Verfassungsurkunde die Not- 
verordnung ausgeschlossen sei, erklärt sich überhaupt nur daraus, daß 
man die Lehre von der Gewaltenteilung den Bestimmungen der Ver- 
fassungsurkunde zugrunde legte. Indem man davon ausging, daß 
der Erlaß von Rechtsnormen lediglich Sache der formellen Gesetz- 
gebung sei, konnte man es sich nicht erklären, daß gleichwohl noch 
für einzelne Arten von Rechtsnormen der Erlaß eines Gesetzes er- 
fordert würde. Daß dadurch nur die freie Regierungstätigkeit aus- 
geschlossen werden sollte, konnte man um so weniger begreifen, als 
man der Regierungsgewalt oder der vollziehenden Gewalt, wie man 
sie nannte, die Berechtigung zum Erlasse von Rechtsnormen absprach. 
Da nun die Bestimmungen der Verfassungsurkunde, welche ein Gesetz 
erforderten, doch irgend einen vernünftigen Sinn haben mußten, legte 
man ihnen den bei, daß damit die königlichen Verordnungen mit 
Gesetzeskraft ausgeschlossen werden sollten. 
Da es sehr wenige Gegenstände gibt, die auf Grund anderer 
Bestimmungen als derjenigen der Verfassungsurkunde durch Gesetz 
zu regeln sind:), so wäre die Ausschließung des Notverordnungsrechtes, 
— — 
  
6) G.-S. 1865, S. 1077. 
7) Es käme höchstens das Privatrecht in Betracht, und gerade hier 
wird sich die Notwendigkeit von Notverordnungen fast nie ergeben.
	        
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