Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 82 Verkündigung und Verbindlichkeit der Gesetze. 551 
ein Formalakt, der die Verbindlichkeit begründet ohne Rücksicht darauf, 
ob die Betroffenen von der Verkündigung Kenntnis erlangt haben oder 
nicht. Nicht der rechtsgültige Erlaß des Gesetzes oder der Verord- 
nung, sondern allein die Verkündigung begründet die Verbindlichkeit. 
Selbstverständlich ist es, daß nur rechtsgültige Gesetze und Ver- 
ordnungen verkündet werden dürfen und daß diejenigen Beamten, 
welche bei der Verkündigung eines rechtsungültigen Erlasses mitwirken, 
sich verantwortlich machen würden. Es könnte sich nur fragen, welche 
rechtliche Bedeutung die Verkündigung einer an und für sich rechts- 
ungültigen Anordnung zu beanspruchen hatv). Die Erörterung, ob 
es zweckentsprechend ist oder nicht, den einzelnen das Recht der Prü- 
fung der Rechtsgültigkeit einzuräumen, kann hier nicht in Betracht 
  
7) Vgl. aus der ganz außerordentlich reichhaltigen Literatur über 
diese Frage, die sich meist für das Recht der Prüfung der Verord- 
nungen und für die Unverbindlichkeit rechtsungültiger Maßnahmen aus- 
sprechen, K. S. Zachartä im Archiv für zivilistische Praxis, Bd. 16, 
S. 145 ff.; v. Wächter a. a. O., Bd. 24, S. 238; H. Bischof in der 
Zeitschrift für Zivilrecht und Prozeß, N. F. Bd. 16, S. 235, 385, Bd. 17, 
S. 104, 253, 448, Bd. 18, S. 129, 302, 393; H. Bischof, Das Not- 
recht der Staatsgewalt in Gesetzgebung und Regierung, historisch und 
dogmatisch nach allgemeinem und deutschem Rechte erörtert, in v. Lin- 
des Archiv für das öffentliche Recht des Deutschen Bundes, Bd. 3, 
Heft 3; E. v. Stockmar, Ist der Richter an allgemeine landes- 
herrliche Konstitutionen gebunden, welche ohne die nach Vorschrift der 
Verfassung einzuholende ständische Zustimmung erlassen sind? in der Zeit- 
schrift für Zivilrecht und Prozeß, N. F. Bd. 10, S. 18, 213; vor allem 
aber die Gutachten von Gneist und H. Jacqucs über die Frage: 
Soll ein Richter auch darüber zu befinden haben, ob ein Gesetz ver- 
fassungsmäßig zustande gekommen ist? in den Verhandlungen des vierten 
deutschen Juristentages von 1863, Bd. 1, S. 212 ff.; R. John, Rechts- 
gültigkeit und Verbindlichkeit publizierter Gesetze und Verordnungen 
nach den Grundsäten des preußischen Staatsrechts in Aegidis Zeit- 
schrift für deutsches Staatsrecht, Bd. 1, S. 244 ff.; v. Rönne, Ueber 
das richterliche Prüfungsrecht bezüglich der Rechtsgültigkeit von Ge- 
setzen und Verordnungen nach preußischem Staatsrecht a. a. O., S. 385 ff., 
letztere beiden Aussätze veranlaßt durch die mehrerwähnten Stock- 
marschen Studien über das preußische Staatsrecht in der genannten 
Zeitschrift. Außerdem finden sich ausführliche Erörterungen über die 
Frage in fast allen Hand= und Lehrbüchern des Staatsrechtes und 
des Privatrechtes, meist unter dem Stichworte des richterlichen Prü- 
fungsrechtes. Vielfach greift die Behandlung aber auch von dem juri- 
stischen in das rein politische Gebiet über.
	        
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