Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

552 Das Verfassungsrecht. 8 82 
kommen, obgleich gerade dies vorzugsweise der Inhalt der reichen Li— 
teratur über die Streitfrage ist. Es kann sich allein darum handeln, 
ob und inwiefern rechtsungültige, aber gehörig verkündete Anord— 
nungen nach positivem preußischen Rechte eine Rechtsverbindlichkeit für 
sich beanspruchen. Eine Behandlung der Frage vom allgemeinen juri— 
stischen Standpunkte kann auch hier unterbleiben, da die preußische 
Verfassungsurkunde positive Bestimmungen über das Prüfungsrech 
enthält. « « 
Die oktroyierte Verfassungsurkunde hatte in dieser Beziehung 
keine Bestimmung. Es war darin als Art. 105 nur der 
Satz enthalten: „Gesetze und Verordnungen sind nur verbindlich, 
wenn sie zuvor in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form bekannt 
gemacht worden sind.“ Bei der Revision strich man zunächst die 
Worte „nur“ und „zuvor“ als überflüssig, sügte jedoch auf Verlangen 
der königlichen Botschaft vom 7. Januar 1850 (Proposition XIII) zu 
dem ersten Absatze des nunmehrigen Art. 106: „Gesetze und Verord- 
nungen sind verbindlich, wenn sie in der vom Gesetze vorgeschriebenen 
Form bekannt gemacht worden sind,“ als zweiten Absatz hinzu: „Die 
Prüfung gehörig verkündeter königlicher Verordnungen steht nicht den 
Behörden, sondern nur den Kammern (in jetziger Fassung: den beiden 
Häusern des Landtages) zu.“ Zur Begründung dieses Satzes wurde 
angeführt, daß die Grenze zwischen Gesetz und Verordnung schwer zu 
ziehen, und gegen den Mißbrauch der Bestimmung in der verfassungs- 
mäßigen Ministerverantwortlichkeit ein Schutz gegeben sei. Es ergibt 
sich hieraus, daß man zunächst den Fall im Ange hatte, wenn eine 
Maßregel, die an und für sich der Gesetzesform bedurfte, durch könig- 
liche Verordnung getroffen war. Hier sollten trotz des formellen 
Mangels die königlichen Verordnungen von den Behörden als rechts- 
verbindlich betrachtet und ihren Entscheidungen zugrunde gelegt werden. 
Unentschieden bleibt bei dem Wortlaute des Art. 106 Absf. 2 
der Verfassungsurkunde die Frage, ob den Behörden die Prüfung der 
Rechtsgültigkeit gehörig verkündeter Gesetze zusteht, oder ob auch bei 
Gesetzen, selbst wenn sie rechtsungültig sind, die bloße Verkündigung 
die Rechtsverbindlichkeit begründet. Denkbar sind hier verschiedene 
Fälle. Es kann ein Erlaß die Zustimmung des Landtages erwähnen, 
während diese Zustimmung gar nicht erfolgt ist — ein Fall, der wohl 
außerhalb des Bereiches der Möglichkeit liegt —, es kann der zustim- 
mende Beschluß eines der beiden Häuser selbst an einem wesentlichen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.