Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 82 Verkündigung und Verbindlichkeit der Gesetze. 553 
Mangel leiden, z. B. von einem beschlußunfähigen Hause gefaßt sein, 
oder, der wichtigste Fall, es kann in einem neuen Gesetze eine Aende- 
rung der Verfassungsurkunde liegen, ohne daß die bei Verfassungs- 
änderungen vorgeschriebenen Formen beobachtet wären. Ist in solchen 
Fällen die Rechtsverbindlichkeit des Gesetzes allein von der Verkündigung 
oder auch von der Rechtsgültigkeit des Gesetzes abhängig? Auch bei 
Gesetzen muß die Verkündigung als der allein entscheidende Gesichtspunkt 
betrachtet werden. Hierfür sprechen verschiedene Gründe. 
Zunächst hieße es, dem einzelnen etwas meist Unmögliches zu- 
muten, wenn man von ihm die Prüfung des gesetzmäßigen Zustande- 
kommens eines Gesetzes verlangen wollte. Es wird in der Regel 
niemand wissen können, ob das Haus noch beschlußfähig war, als es 
einen Beschluß faßte. Man kann, wenn ein Gesetz eine Verfassungs- 
änderung enthält, auch niemandem zumuten, die stenographischen Be- 
richte nachzuschlagen, um festzustellen, ob wirklich zwei Abstimmungen 
mit einem Zwischenraume von 21 Tagen stattgefunden haben und der- 
gleichen mehr. Wollte man dem einzelnen die Prüfung aller wesent- 
lichen Formalien auferlegen, so müßte man auch von ihm verlangen, 
daß er jedesmal das Original des Gesetzes untersuche, ob es auch die 
königliche Unterschrift trägt. Diese Auffassung würde zu ganz unabseh- 
baren Folgerungen führen. Selbst diejenigen, welche für ein unbe- 
dingtes Prüfungsrecht sind, meinen daher, daß „interna corporis“ d. h. 
der Geschäftsgang der einzelnen Körperschaften — mit demselben Rechte 
kann man sagen, auch der des Königs — nicht zu untersuchen seien 
(so Gneist). Gleichwohl läßt sich nicht verkennen, daß diese Auffassung 
nicht folgerichtig ist. Hat jemand zu prüfen, ob ein Erlaß mit Zu- 
stimmung des Landtages ergangen ist, so hat er auch zu unter- 
suchen, ob bei dem zustimmenden Beschlusse die wesentlichen Förmlich- 
keiten beobachtet sind. Denn ein unter Beiseitesetzung der wesentlichen 
Formen gefaßter Beschluß ist nichtig, also überhaupt kein Beschluß, 
und es fehlt daher die erforderliche Zustimmung. Wenn in England 
gewohnheitsmäßig die Prüfung der sogenannten interna corporis aus- 
geschlossen wird, so ist dies eben eine auf positiver gewohnheitsrecht- 
lichen Vorschrift beruhende teilweise Ausschließung des Prüfungsrechtes. 
Die praktischen Schwierigkeiten, zu denen eine Lehre führt, und die 
in einem anderen Staate zur Abschneidung gewisser Folgerungen durch 
positive Rechtsvorschrift geführt haben, können aber für uns kein 
Grund sein, an diesem Punkte ebenfalls die weiteren Folgerungen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.