Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

882 Verkündigung und Verbindlichkeit der Gesetze. 555 
kündigung einer neuen Verordnung ihm Geltung verschafft. Denn allein 
die Verkündigung, nicht irgend ein Landtagsbeschluß begründet die Ver- 
bindlichkeit1o). Eine Verpflichtung für die Regierung, eine vom Land- 
tage für rechtsungültig erachtete Verordnung lediglich deshalb zurück- 
zunehmen und die Zurücknahme zu verkündigen, besteht aber nicht und 
kann nicht bestehen. Wollte man eine solche Verpflichtung anerkennen, 
so würde man damit dem Landtage die Möglichkeit gewähren, einer 
vollständig rechtsgültigen Verordnung durch seinen Beschluß die Rechts- 
verbindlichkeit zu entziehen, während die Verordnung nach Ansicht 
der Regierung gültig ist. Dadurch würde aber die ganze königliche 
Regierungsgewalt in ihrem Bestande und in ihren einzelnen Betäti- 
gungen dem Belieben des Hauses preisgegeben. Das Prüfungsrecht des 
Landtages hat daher wohl eine politische, aber keine staatsrechtliche 
Bedeutung. 
Zur Rechtsverbindlichkeit eines Gesetzes oder einer Verordnung 
genügt deren vorschriftsmäßige Verkündigung. Nur sie ist von den 
Behörden oder den einzelnen Staatsangehörigen zu prüfen. Die vom 
Gesetze vorgeschriebene Form ist aber nur die Verkündigung in der 
Gesetzsammlung bzw. im Amtsblatte. Zu den vorgeschriebenen Formen 
der Verkündigung gehört es daher nicht, daß im Eingange des Gesetzes 
auf die vorherige Zustimmung des Landtages bzw. auf Art. 63 der 
Verfassungsurkunde Bezug genommen wird. Diese Förmlichkeiten sind 
wünschenswert, um jeden Zweifel an der Rechtsgültigkeit der Anord- 
nung zu verscheuchen, aber notwendig sind sie nicht. Denn auch ohne 
Zustimmung des Landtages und ohne Bezugnahme auf Art. 63 der 
Verfassungsurkunde liegt, wenn auch kein Gesetz und keine Notver- 
ordnung, so doch immerhin eine königliche Verordnung vor, und diese 
ist allein durch die Verkündigung rechtsverbindlich. Wesentliches Erfor- 
10) Zur Erörterung kam die Frage gelegentlich des durch könig- 
liche Verordnung erlassenen Prisenreglements vom 20. Juni 1864, 
welches das Abgeordnetenhaus für rechtsungültig erklärte, da nach seiner 
Ansicht das Prisenreglement nur im Wege der ordentlichen Gesetz- 
gebung hätte gegeben werden dürfen. Zutreffend bemerkte bei dieser 
Gelegenheit der Abgeordnete Gneist über die Folgen, die jener Be- 
schluß des Hauses haben würde: „Dieser Beschluß, wenn er nicht (von 
der Regierung) befolgt wird, ist und bleibt vollkommen tot, kein Ge- 
richt wäre in der Lage, dessen Wirksamkeit anzuerkennen.“ Vgl. Sten. 
Ber. S. 2074. Anders bei Notverordnungen, die die Regierung auf 
Verlangen des Landtages außer Kraft zu setzen verpflichtet ist.
	        
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