Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

g 83 Die Schranken der Gesetzgebung. 559 
Während die Verfassungsurkunde nur eine Schranke für gewisse 
Arten von Gesetzen bildet, aber als Gesetz selbst der Gesetzgebung, 
wenn auch einer besonderen Art von ihr, unterworfen bleibt, findet 
die preußische Landesgesetzgebung in ihrer Tätigkeit eine unbedingte 
Begrenzung durch Art. 2 der Reichsverfassung. Hiernach Üübt das 
Reich innerhalb des Bundesgebietes das Recht der Gesetzgebung in 
den seiner Zuständigkeit überwiesenen Gegenständen mit der Wirkung 
aus, daß Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen. Zwar hat nicht 
die Zuweisung des einen oder anderen Gegenstandes an die Reichs- 
gesetzgebung an und für sich schon die Bedeutung, daß damit die 
Tätigkeit der Landesgesetzgebung ausgeschlossen wäre. Es können 
auch über die der Reichsgesetzgebung vorbehaltenen Gegenstände neue 
Landesgesetze ergehen, bis das Reich von dem ihm zustehenden Ge- 
setzgebungsrechte Gebrauch macht. Sobald dies aber geschehen ist, muß 
allein das Reichsrecht als maßgebend betrachtet werden. Landesgesetze 
können nur ergehen, wenn und soweit das Reichsrecht sie zuläßt. 
Die Landesgesetzgebung hat sich also innerhalb der durch das Reichs- 
recht gezogenen Grenzen zu halten. 
Würde gleichwohl ein Landesgesetz erlassen, welches einem Reichs- 
gesetze widerspräche, so wäre es nicht anwendbar, soweit es sich mit 
dem Reichsrechte im Widerspruche befindet. Ob ein solcher Widerspruch 
vorliegt, kann aber nur im einzelnen Falle durch den Richter entschieden 
werden. Es kann hier die Frage des Reichsstaatsrechtes, ob der Richter 
die Rechtsgültigkeit der Reichsgesetze zu prüfen hat, oder ob auch diese 
nur durch die Verkündigung verbindlich werden, dahingestellt bleiben. 
Auch wenn die Prüfung der Rechtsgültigkeit der Reichsgesetze wic der 
Landesgesetze den Behörden untersagt ist, steht ihnen doch die Unter- 
suchung darüber zu, ob ein Landesgesetz dem Reichsrechte widerspricht. 
Hierin liegt keine Untersuchung des rechtsgültigen Zustandekommens 
der Reichs= oder Landesgesetze, sondern einzig und allein eine Anwen- 
dung des in Art. 2 der Reichsverfassung ausgesprochenen Rechtssatzes, 
daß Reichsgesetze den Landesgesetzen vorgehen, auf den einzelnen Fall. 
Die bloße Rechtsanwendung ist aber gerade die dem Richter stets und 
überall zustehende Aufgabe, wenn ihm auch die Prüfung der Rechts- 
gültigkeit einer staatlichen Anordnung entzogen ist. 
Aber Reichsrecht geht dem Landesrechte nur vor, hebt es nicht auf. 
Das Landesrecht bleibt latent vorhanden, ist nur wegen seines Wider-
	        
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