Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

8 85 Geschichtliche Entwicklung ber königlichen Justizgewalt. 569 
Gerichtsgewalt der Landesherren und ihrer Organe ist bis in das 
15. Jahrhundert hinein gleich derjenigen der früheren königlichen 
Grafen beschränkt auf die Hegung des Gerichtes und die Vollstreckung 
des von den Schöffen gefällten Urteiles. Nachdem dieses System bei 
den kleineren städtischen und ländlichen Gerichten schon früher durch- 
löchert war durch die mehr und mehr zunehmende Zersplitterung der 
Gerichte, so daß schließlich von ihnen nichts mehr übrig blieb als 
der Gerichtsvorsitzende, der Richter, mußte die landesherrliche Gerichts- 
gewalt eine vollständige Umgestaltung erfahren durch den Untergang 
des Volksrechtes im staatsrechtlichen Sinne, der keineswegs zu ver- 
wechseln ist mit der unabhängig von den staatsrechtlichen Wandlungen 
sich vollziehenden Rezeption der fremden Rechte. 
Gleichzeitig mit der Grenze zwischen Gesetz und Verordnung wird, 
soweit sich die Schöffenverfassung erhalten hatte, der Unterschied in 
der Stellung des Gerichtsvorsitzenden und der Beisitzer verschwommen. 
Der Landesherr darf, wenn er die Macht dazu hat, das Volksrecht 
durch einseitige Verordnungen abänderne). Er darf daher auch sämt- 
liche Rechtsnormen entweder selbst oder durch seine Organe zur An- 
wendung bringen. Soweit die Teilnahme der Schöffen an der Recht- 
sprechung durch die Zersplitterung der Gerichte nicht unmöglich gemacht 
ist, nimmt der Vorsitzende des Gerichtes an der Urteilsfindung teil. 
Die Beisitzer des Gerichtes andererseits vertauschen die alte Schöffen- 
stellung mit derjenigen landesherrlicher Beamten. Wie infolge der 
Zersplitterung der Gerichtsbezirke von den kleineren Gerichten nur der 
bisherige Vorsitzende als Einzelrichter übrig geblieben war, so ent- 
wickeln sich aus den größeren Gerichten die modernen Kollegialgerichte. 
Beide Arten von Gerichten sind aber entweder unmittelbare oder wie 
die Stadt= und Patrimonialgerichte mittelbare landesherrliche Be- 
hörden, sämtliche bei der Rechtsprechung beteiligten Personen ein- 
schließlich der bloßen Beisitzer unmittelbare oder mittelbare Organe 
des Landesherren. 
Waren sie aber erst einmal zu solchen geworden, so mußte das 
für die übrigen landesherrlichen Behörden geltende Verhältnis, daß 
der Landesherr die Anordnungen seiner Behörden ändern und statt 
ihrer sofort selbst eine Entscheidung treffen könne, auch für die richter- 
lichen Behörden Platz greifen. Die Kabinettsjustiz oder wenigstens 
  
2) Vgl. 6 77.
	        
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