Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

576 Das Verfassungsrecht. 8 86 
Der König übt also die ihm zustehende richterliche Gewalt aus, 
indem er die Behörden, welche jede einzelne richterliche Amtshandlung 
vorzunehmen haben, organisiert, und indem er die für die Besetzung 
dieser Behörden erforderlichen Beamten nach Maßgabe des Gesetzes 
ernennt oder ernennen läßt. Hieraus ergibt sich mit völliger Klarheit, 
was damit gemeint ist, wenn Art. 86 der Verfassungsurkunde die 
Ausübung der richterlichen Gewalt unabhängigen, keiner anderen Auto— 
rität als der des Gesetzes unterworfenen Gerichten überträgt. Damit 
wird dem Könige nicht die Ausübung der ihm zustehenden richterlichen 
Gewalt überhaupt entzogen, denn er übt sie aus durch die Organi— 
sation der richterlichen Behörden und durch die Ernennung der richter— 
lichen Beamten. Es wird vielmehr lediglich gesetzlich ausgeschlossen, 
daß der König richterliche Amtshandlungen selbst vornimmt oder die 
Gerichtsbehörden mit den Anweisungen über die Rechtsanwendung im 
einzelnen Falle versieht. Dem Könige wird also nicht die Ausübung 
der richterlichen Gewalt genommen, sondern es werden ihm durch 
Art. 86 ff. gewisse Schranken der Ausübung gezogen. 
In diesem besonderen Verhältnisse des Königs zu den Justiz- 
behörden besteht einzig und allein die verfassungsrechtliche Eigentüm- 
lichkeit der richterlichen Gewalt. Ein anderes charakteristisches Merk- 
mal ist das besondere Verhältnis der übergeordneten richterlichen Be- 
hörde zu der untergeordneten. Dieses Merkmal ist jedoch verwal- 
tungsrechtlicher Natur. 
Wie bei der Gesetzgebung läßt auch bei der richterlichen Gewalt 
die Verfassungsurkunde eine allgemeine Bestimmung darüber vermissen, 
was Gegenstand der richterlichen Gewalt ist, d. h. in welchen Sachen 
die eigene Ausübung einzelner tatsächlichen Anordnungen durch den 
König ausgeschlossen ist. Die richterliche Gewalt wird durch Art. 86 
ebenso wie die Gesetzgebung durch Art. 62 der Verfassungsurkunde 
nach rein formellen Merkmalen, d. h. nach der Art und Weise des 
Zustandekommens der betreffenden Staatshandlungen bestimmt. Die 
Verfassungsurkunde regelt nicht die Gegenstände der richterlichen Tätig- 
keit, sondern setzt diese als durch das bisherige Recht gegeben vor- 
aus. Zur Zeit des Erlasses der Verfassungsurkunde waren es nur 
bürgerliche Rechtsstreitigkeiten und Strafsachen, die zur Zuständigkeit 
der Gerichte gehörten, wobei freilich die Grenzlinie des Privat= und 
Strafrechts gegenüber anderen Rechtsgebieten zu manchen Zweifeln 
Veranlassung geben konnte. Durch spätere Gesetze ist jedoch auch ein
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.