Full text: Preußisches Staatsrecht. Erster Band. (1)

88 Preußen als konstitutioneller Staat (1848—1867). 51 
wieder versammelt. Die Revision fand nunmehr statt, und am 
31. Januar 1850 wurde die revidierte Verfassung als endgültiges 
Staatsgrundgesetz Preußens verkündet. 
Die somit endgültig in Kraft getretene preußische Verfassungs- 
urkunde trägt gleich dem Allgemeinen Landrechte das Gepräge zweier 
verschiedenen Zeitströmungen an sich. Wie in den Bestimmungen des 
Allgemeinen Landrechtes sich die Anschauungen des Naturrechts und 
der Aufklärungsphilosophie mit den Resten der mittelalterlichen stän- 
dischen Rechtsordnung begegnen, so in der Verfassungsurkunde vom 
31. Januar 1850 die konstitutionellen Theorien des französisch-bel- 
gischen Staatsrechtes mit den Forderungen einer selbständigen Staats- 
gewalt und eines starken Königtums. Während aber das Allgemeine 
Landrecht für seine Zeit ein Meisterstück der Gesetzgebung war, kann 
man dies von der Verfassungsurkunde keineswegs behaupten. Für 
die europäische Großmacht und den Militärstaat, der für sich nicht 
bestehen konnte, sondern seine Ergänzung in Deutschland suchen 
mußte, wurde die Verfassung Belgiens, eines für neutral erklärten 
europäischen Kleinstaates, mit seinem allmächtigen Parlamente und 
seinem Schattenkönigtume übernommen. Eine Berücksichtigung der 
Eigenart des preußischen Staates, seiner inneren Gegensätze und seiner 
eigentümlichen Verwaltungsorganisation fand daher in keiner Weise 
statt. Nur der Umstand, daß die Verfassung oktroyiert wurde, er- 
hielt dem Königtume seine wesentlichen Befugnisse und bewahrte es 
davor, ein bloßes Ornament des parlamentarischen Systems zu werden. 
Im allgemeinen sind aber in der Verfassung vielfach die konstitu- 
tionellen Theorien, welche sich im Anschlusse an das nur halb ver- 
standene englische Staatsrecht in Frankreich unter dem Einflusse der 
Bourgeosie gebildet hatten, zum Ausdruck gelangt. Es war die natür- 
liche Reaktion gegen die verspätete Nachahmung der auf dem Grund- 
besitze ruhenden ständischen Vertretung, daß die bisher ausgeschlossene 
Gesellschaftsklasse, die kapitalbesitzende Bourgeoisie, die neue Landes- 
vertretung vorwiegend in ihrem Interesse geregelt sehen wollte. 
Die Mehrheit in der neuen Volksvertretung fiel unter dem 
Drucke der revolutionären Strömung zunächst der bisher von der Ver- 
tretung rechtlich ausgeschlossenen Klasse der liberalen Bourgeoisie zu. 
Diese benutzte ihren Einfluß sofort zum entscheidenden Kampfe gegen 
die Ueberreste der älteren Gesellschaftsordnung, welche allein auf dem 
Grundbesitze beruhte. Die Vorrechte des Grundbesitzes, insbesondere 
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