62 Grundzüge der Verfassungsgeschichte. § 9
Einzelstaaten nach Vernehmung des Bundesratsausschusses für Zoll-
und Steuerwesen Reichsbeamte bei, um die Einhaltung des gesetzlichen
Verfahrens zu überwachen.
Auf dem kirchlichen Gebiete hat das Reich keinerlei Befugnisse
irgend welcher Art, das Gebiet ist also vollständig den Einzelstaaten
verblieben. Gleichwohl hat das Reich verschiedene kirchenpolitische Ge-
setze erlassen, die jedoch ihren Rechtsgrund in der Zuständigkeit des
Reiches auf dem Gebiete der inneren Verwaltung gefunden haben.
Auf Grund des dem Reiche zustehenden Gesetzgebungsrechtes über die
Freizügigkeit und das Niederlassungsrecht erfolgte eine Einschränkung
beider für die Gesellschaft Jesu und die verwandten Orden durch das
Reichsgesetz vom 4. Juli 1872, sowie die Beschränkung des Aufenthalts-
rechtes, unter Umständen auch die Möglichkeit der Entziehung der
Staatsangehörigkeit für Geistliche, die sich unbefugt kirchliche Aemter
anmaßten, durch das Reichsgesetz vom 4. Mai 1874. Die frieden-
störende Erörterung von Staatsangelegenheiten durch Geistliche bei
Ausübung ihres Berufes wurde auf Grund der dem Reiche zustehenden
Strafgesetzgebung unter Strafe gestellt.
Ueberall, wo dem Reiche ein Recht der Gesetzgebung zusteht, hat
es, auch wo ihm die unmittelbare Verwaltung fehlt, ein Recht der
Beaussichtigung der Verwaltung der Einzelstaaten. Dem Kaiser steht
die Ueberwachung der Ausführung der Reichsgesetze zu, der Bundes-
rat hat über Mängel, welche sich bei ihrer Ausführung ergeben, zu
beschließen. Es findet daher auf diesen Verwaltungsgebieten eine
doppelte Kontrolle statt. Jeder Staat hat seine Verwaltung in Ge-
mäßheit der Reichsgesetze zu kontrollieren, das Reich dagegen durch
seine Organe die Verwaltung der Einzelstaaten.
Nur auf denjenigen Gebieten, die der Gesetzgebung und Beauf-
sichtigung des Reiches nicht unterliegen, bewegt sich die preußische
Staatsgewalt so frei und unabhängig wie vor Errichtung des Nord-
deutschen Bundes und des Deutschen Reiches. Soweit aber die Reichs-
gesetzgebung Platz greift, hat die preußische Staatsgewalt nur noch
den Charakter eines ausführenden Organs des Reiches, welches hier
als übergeordnete Macht den preußischen Staatsorganen ihre Tätig-
keit anweist.
Vom staatsrechtlichen Standpunkte betrachtet, sind also die Fak-
toren und die Funktionen des preußischen Staates, sein Verfassungs-