l 12 Das preußische Staatsrecht. 73
her das deutsche Recht in allen Staaten von einem einheitlichen
Charakter, beruht auf denselben Grundsätzen und zum Teil sogar auf
denselben Rechtsquellen.
Hiernach ergibt sich, daß das preußische Recht nicht aus dem
Geiste des preußischen Volkes hervorgegangen ist, welches nur ein
politischer, aber kein nationaler Begriff ist, sondern aus dem des
deutschen Volkes. Dieser ist aber nicht nur in der preußischen Rechts-
bildung und in der der anderen deutschen Staaten zum Ausdrucke
gelangt, sondern auch in der Deutschlands als Gesamtstaat. Bezeichnet
man das Recht, welches für Deutschland als Gesamtstaat oder grund-
sätzlich für alle Teile Deutschlands gilt, als gemeines, so ist das
nur für einen Einzelstaat und in ihm geltende Recht das partikulare.
Das preußische Recht überhaupt und das preußische Staatsrecht ins-
besondere ist daher ein deutsches Partikularrecht. Es kann nicht losgelöst
werden von der deutschen Rechtsentwicklung überhaupt, auf der es
erwachsen ist, und muß ohne diese in seinen wichtigsten Beziehungen
unverständlich bleiben. Damit soll nicht gesagt sein, daß man das
preußische Recht durch Heranziehung von Bestimmungen in den Par-
tikularrechten anderer Einzelstaaten erläutern oder ergänzen könnte.
Denn solche Einzelbestimmungen sind nur zu häufig aus besonderen
zufälligen Verhältnissen hervorgegangen, die gerade in dem preußischen
Staate nicht bestanden. Wohl aber können durch Vergleichung mit
anderen Partikularrechten die auch für das preußische Staatsrecht
maßgebenden Grundlagen des deutschen Rechtes überhaupt erkannt
und aus diesen Grundsätzen Folgerungen für das preußische Recht
gezogen werdenty).
Ist nun auch das preußische Staatsrecht ein deutsches Partikular=
recht, so greifen innerhalb des preußischen Staatsrechtes partikulare
Besonderheiten doch nur in sehr bedingtem Maße Platz. Mit der
Aufhebung der Reichsverbindung im Jahre 1806 und mit der Be-
seitigung der letzten Reste der alten Stände und der ständischen
Rechtsordnung überhaupt durch die Stein-Hardenbergsche Gesetzgebung
sind die letzten Hemmnisse verschwunden, welche sich der Verschmelzung
1) Mit Recht hebt H. Schulze, Pr. St.-R., Bd. 1, S. 4, 5,
hervor, daß die wissenschaftliche Behandlung des preußischen Staats-
rechtes, welche nicht von der Grundlage des deutschen Staatsrechtes
ausgehe, ebensowenig möglich sei wie die eines partikularen Privat-
rechtes ohne die Grundlage des deutschen Privatrechtes.