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des Gesamtstaates der löniglich preußischen Staaten zu dem Einheits-
slaate der preußischen Monarchic entgegenstellten. Durch Beseitigung
der letzten Spuren des einstigen staatlichen Sonderbestandes der Gebiete
war der Einheitsstaat nicht mehr bloß eine Tatsache, er war zum
Recht geworden. Für einen einheitlichen Staat können aber die Rechts-
normen, welche die Gliederung des stlaatlichen Wesens und seine
Funktionen bestimmen, nur einheitlich sein. Die Kabinettsorder vom
(I. März 18212) erklärt daher gesetzlich, daß in der ganzen Monarchie
mur ein inneres Staatsrecht gelten könne. Partikulare Besonder
heiten in dem Verfassungsrechte widersprechen daher dem Begriffe des
Einheitsstaates5). Wohl aber kann die Ausübung der Staatshoheits-
rechte durch die Staatsorgane in den einzgelnen Gebietsteilen des
Einheitsstaates nach verschiedenen Normen geregell sein, wenn schon
das Interesse des Einheilsstaates auch hier eine gewisse Gleichförmig
leit ersordert. Partikulare Verschiedenheiten in dem Verwaltungs.
rechte des Einheitsstaates sind daher möglich und bestehen auch tal-
sächlich in dem preußischen Verwaltungsrechte.
Das preußische Staatsrecht wird endlich seit der Wiederherstellung
des Reiches in hohem Grade beeinflußt durch das Rrichsrecht. Dieses
hat aber ebenfalls verschieden gewirkt auf das Verfassungsrecht und
auf das Verwaltungsrecht. Da das Reich die Einzelstaaten als selbst-
ständige staatliche Organisationen bestehen gelassen hat, so wird das
Verfassungsrecht der Einzelstaaten sast ausschließlich durch deren
eigenes Staatsrecht bestimmt. Die Verfassung der Bundesstuaten ist
durch das Reichsrecht unberührt geblieben. Zwar sind durch die nord-
deutsche Bundes= und die Reichsverfassung zahlreiche Bestimmungen
der preußischen Verfassungsurkunde ausgehoben worden. Diese hatten
jedoch nicht das Verfassungsrecht, sondern nur das Verwaltungsrecht
Preußens zum Gegenstande. Wenn man behauptet, durch Begründung
des Reiches habe das preußische Versassungsrecht Aenderungen er-
sahren, so beruht dies meist auf einer Verwechselung der Verfassung
im sormellen Sinne, der Verfassungsurkunde, welche verfassungsrecht-
liche und verwaltungsrechtliche Bestimmungen enthält, mit dem mate-
—
2) G.-S. 1821, S. 30.
5) Vgl. Hubrich, Die reichsgerichtliche Judikatur und das Prinzip
der Einheit des inneren preußischen Staatsrechts in Hirths Annalen
1908, S. 662 ff., 725 ff.