Full text: Preußisches Staatsrecht. Zweiter Band. (2)

430 Das Verwaltungerecht. §7 137 
Standesrecht, das Stadtrecht, entwickelt. Der Klerus hatte schon 
an und für sich sein vom Volksrechte verschiedenes kirchliches 
Standesrecht. Das Ergebnis dieses Ausscheidens der höheren Klassen 
ist demnach dies, das das alte Volksrecht zum Rechte der untersten 
Klasse, des Bauernstandes, das alte Volksgericht zum Bauerngerichte 
wird, soweit die Bauern nicht als unfrei nach Dienstrecht leben. 
Die drei höheren Stände haben ihr besonderes Standesrecht und 
zu dessen Handhabung ihre besonderen Gerichte. Das Volksrecht 
und das Volksgericht ist mit einem Worte verdrängt durch das 
Standesrecht und durch die Gerichte für die verschiedenen Stände. 
Seinem Umfange nach beschränkt sich aber das Standesrecht 
nicht auf dasselbe Gebiet wie das alte Volksrecht, d. h. auf das 
Gebiet des Privat-, Straf= und Prozeßrechtes. Mittlerweile hatten 
nämlich alle staatlichen Verhältnisse eine vollständige Umwälzung 
erfahren dadurch, daß sich die höheren Klassen, Großgrundbesiß 
und Städte, in ausgedehntestem Maße die Ausübung staatlicher 
Hoheitsrechte über das flache Land und über die städtischen Bezirke 
angeeignet hatten. Wollte jetzt die Obrigkeit eine Anordnung er 
lassen, so bedurfte sie, auch wenn sie nicht in das Gebiet des früheren 
Volksrechts fiel, sondern rein verwaltungsrechtlicher Natur war, 
dazu in der Regel die Zustimmung der zu den Reichs= oder Land- 
ständen vereinigten Ortsobrigkeiten, da sonst die Anordnung in 
den meisten Fällen überhaupt nicht durchführbar gewesen wäre. 
Dadurch ging die Grenze, welche bisher zwischen Volksrecht und 
Amtsrecht, Gesetz und Verordnung bestanden hatte, verloren. Ins- 
besondere wurde die ständische Mitwirkung für unumgänglich not- 
wendig gehalten für Eingriffe in die öffentlichrechtlichen Befugnisse 
der einzelnen Stände, wie sie solche namentlich auf dem Gebiete 
der Gerichtsbarkeit und Polizei besaßen. Das Gebiet des Standes- 
rechts dehnt sich daher über das gesamte öffentliche Recht aus, 
soweit besondere Rechte der einzelnen Stände in Betracht kommen. 
Nachdem durch die Rezeption der fremden Rechte im wesentlichen 
wieder ein gemeinsames Privat-, Straf= und Prozeßrecht für alle 
Stände gewonnen war, blieb neben diesen gemeinen Rechten das 
besondere Standesrecht vorzugsweise noch auf dem Gebiete des 
Verfassungs= und Verwaltungsrechts bestehen. Der noch im All- 
gemeinen Landrechte enthaltene Gesetzesbegriff umfaßt daher die 
gemeinen Rechte und die besonderen Standesrechte.
	        
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